150 Jahre Kunstgeschichte
Zu den Leitfragen des Symposiums gehörte die Frage nach den Übergängen zwischen Kunstgeschichte, Baugeschichte und historisch informierter Entwurfslehre. Dieser sowie der übergeordneten Frage nach dem Verhältnis zwischen Theorie und Praxis widmete sich Rolf Romero in einem Text aus dem Jahr 1968. Zwischen Enklave und Vernetzung – Kunstgeschichte an der TU Darmstadt
Der Architekt und Bauhistoriker Romero hatte von 1959 bis 1981 die Professur für „Entwerfen, Baugeschichte und Kirchenbau“ am Fachbereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt inne. Er schrieb den Text vor dem Hintergrund einer bevorstehenden Studienreform und er betont darin die Relevanz des Faches Baugeschichte für die Architektenausbildung und die dringende Notwendigkeit die Baugeschichte als integralen Bestandteil des Entwerfens zu betrachten. Dies gelte insbesondere, da angesichts des sich stetig vergrößernden Baubestands für zukünftige Generationen von Architekt*innen der Umgang mit bestehender Bausubstanz eine weitaus größere Rolle spielen werde, als für die derzeit lehrende Generation des Wiederaufbaus.
Analog zu der Betrachtung des Entwurfs als Synthese unterschiedlichster Teilaspekte, müssten in der Lehre die einzelnen Lehrstühle ineinandergreifen um eine „Ausbildungsganzheit“ zu bilden. Die Baugeschichte stelle in diesem „Gefüge“ die „vertikale Komponente“ dar: die Komponente der Zeit als Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, während alle anderen Fächer sich mit Problemen der Gegenwart auseinandersetzten, und somit als „horizontale Komponenten“ bezeichnet werden könnten. Konkret bestehe die Aufgabe der Baugeschichte darin, ein Bewusstsein zu schaffen sowie die Methodik bereit zu stellen, um gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen der Architektur und deren Wandlungsprozesse zu erkennen und zu verstehen und damit Werte und Beurteilungsmaßstäbe zu formulieren. – In diesem Sinne wäre die Baugeschichte also der Kunstgeschichte verwandt, worauf Romero in seinem Text jedoch nicht eingeht.
Das zuvor skizzierte Zusammenspiel der einzelnen Fächer erläutert Romero im Folgenden anhand einer Analyse-Methodik für Bestandsgebäude. Die Basis der Analyse bildet die Bauaufnahme, auf welche einzelne Analyse-Schritte folgen, die jeweils in Kooperation mit anderen Lehrstühlen erfolgen sollen, so beispielsweise die Untersuchung der Struktur und Konstruktion des Gebäudes mit den Lehrstühlen für Baukonstruktion und Statik.
Ferner soll für das Verständnis von Zusammenhängen von Struktur, Konstruktion und Formgebung und deren Bedeutung der Lehrstuhl für Kunstgeschichte eingebunden werden. Und schließlich bildet das Erkennen der für den Entwurfsprozess entscheidenden Faktoren und deren Gewichtung eine Kategorie der Analyse.
Die Baugeschichte ist damit absolut praxisorientiert und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits kann dieselbe Methodik prinzipiell auch für das Entwerfen zukünftiger Gebäude angewendet werden (und nicht nur auf Entwurfsaufgaben im Bestand). Man könnte also von einem „Entwerfen rückwärts“ sprechen, dessen Fragestellungen und Erkenntnisse auf ein „Entwerfen vorwärts“ angewendet werden können. Und andererseits ist die Baugeschichte „Training nicht in der Theorie, nicht auf dem Plan, sondern in der gebauten Wirklichkeit im Maßstab 1:1.“
(Daniela Grotz)
Rolf Romero, Die Bedeutung des Faches ‚Baugeschichte’ für die Entwurfsausbildung des Architekten, aus dem Nachlass Max Bächer am Deutschen Architekturmuseum (DAM, 408-400-011). Ursprünglich erschienen war der Text in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, Jahrgang 1968. Diese Abschrift zirkulierte am Fachgebiet Architektur im Rahmen der Unterstufenreform im WiSe 68/69.