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Spätestens seit den Forschungen jüngerer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker in den 1970er Jahren mussten Versuche scheitern, das Bild einer „humanistischen, vermeintlich ideologieresistenten Kunstgeschichte“ (1) herzustellen, wie es noch in den Arbeiten von Kurt Bauch oder Udo Kultermann in den 1950er und 1960er Jahren unternommen wurde.(2) Die auf dem Kunsthistorikertag in Köln 1970 von Martin Warnke und Leopold Ettlinger organisierte Sektion „Das Kunstwerk zwischen Wissenschaft und Weltanschauung“ stieß sowohl auf den Wunsch nach Aufarbeitung der Vergangenheit als auch auf Widerstand, da die Vortragenden die bislang tabuisierten personellen, strukturellen und thematischen Berührungspunkte zwischen Politik und Kunstgeschichte ansprachen und den Mythos der Stunde Null infrage stellten. In der Folge setzten systematische und kritische Beschäftigungen mit kunsthistorischen Akteuren, Institutionen und Schriften im „Dritten Reich“ ein, bei denen insbesondere Kontinuitäten in Netzwerken, Strukturen, im Denken und in der Sprache nach 1945 thematisiert wurden.(3)

Zuvor zeichnete sich die Historiografie der Kunstgeschichte, so Martin Papenbrock, einerseits als eine Fortschreibung von Heldengeschichten aus, bei der sogar offensichtlich nationalsozialistisch geprägte Kunsthistoriker rehabilitiert wurden.(4) An dieser Stelle seien die Dissertation von Paulkonrad Kirchner „Deutsche Kunsthistoriker seit der Jahrhundertwende“ (1948) und Heinz Ladendorfs Artikel „Kunstwissenschaft“ (1955) genannt. Andererseits wurde die Emigration deutscher und österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker in Folge des Aufstiegs der NSDAP und der Etablierung ihrer antisemitischen Politik dokumentiert. Damit zogen ihre Theorien in die Kunstgeschichte im Nachkriegsdeutschland ein.(5) Forschungen zu nicht-emigrierten deutschen Kunsthistorikern und ihr Verhältnis zu politischen Strukturen und Prozessen fehlten zunächst. Frühe Arbeiten, wie Pierre Francastels „L’histoire de l’art. Instrument de la propagande germanique“, geschrieben vor der Besetzung Frankreichs und veröffentlicht 1945, wurden zumeist ignoriert.(6) Die Entpolitisierung des Fachs Kunstgeschichte manifestierte sich in Arbeiten, in denen Theorien und Standpunkte von emigrierten und nationalsozialistisch belasteten Kunsthistorikern miteinander verbunden bzw. „versöhnt“ wurden, wodurch, so Martin Papenbrock, eine „Nivellierung der Positionen“ vollzogen wurde.(7)

Marxistisch geprägte Arbeiten in der DDR, wie Ingrid Schulzes Publikation „Der Mißbrauch der Kunstgeschichte durch die imperialistische deutsche Ostpolitik“ (1970), oder in der BRD Harald Justins „‚Tanz mir den Hitler‘. Kunstgeschichte und (faschistische) Herrschaft“ (1982) wurden kaum rezipiert.(8) Es waren die sozial- und kulturgeschichtlichen Forschungen der Gruppe um Martin Warnke und insbesondere Heinrich Dillys Aufsatz „Deutsche Kunsthistoriker 1933–1945“ (1988), die viel Beachtung fanden und nachhaltig zu einer Aufarbeitung der Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus führten.(9)

Mit der Jahrtausendwende setzte eine umfassende Beschäftigung mit der kunsthistorischen Wissenschaftshistoriographie ein: Auf dem Kunsthistorikertag 2001 in Hamburg leitete Wolf Tegethoff die Sektion „Deutsche Kunstgeschichte und Nationalsozialismus“. Sabine Arend, Sandra Schaeff und Daniel Zeller veröffentlichten 2002 den Aufsatz „Kunstgeschichte 1933–1950“ in Kritische Berichte. In demselben Jahr fand am 11. und 12. Oktober die Tagung „Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus“ in Karlsruhe statt, deren Beiträge 2003 von Jutta Held und Martin Papenbrock herausgegeben wurden.(10) 2004 startete das zweijährige DFG-Projekt „Die Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche einer Wissenschaft zwischen der Weimarer Republik und der Gründungsphase beider deutscher Staaten“, eine Kooperation der kunstgeschichtlichen Institute der Universitäten Berlin (HU), Bonn, Hamburg und München.(11) Teil des Projekts war die Tagung „Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. 1930–1950“ in Bonn vom 12. bis 14. Oktober 2006. Ein Jahr zuvor wurde am 16. März die Wanderausstellung „Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“ ebenfalls in Bonn eröffnet, die anschließend in München, Tübingen, Marburg, Karlsruhe, Hamburg und Berlin zu sehen war. Begleitend zur Ausstellung erschien die Publikation „Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950“, herausgegeben von Nikola Doll, Christian Fuhrmeister und Michael H. Sprenger. Ihr folgte 2008 der von Olaf Peters, Ruth Heftrig und Barbara Schellewald editierte Sammelband „Kunstgeschichte im ‚Dritten Reich‘. Theorien, Methoden, Praktiken“.

Die Ergebnisse dieser schrittweisen Aufarbeitung zeigen ein differenziertes Bild.(12) Laut Nikola Doll „kann für die Kunstgeschichte keine durchgängig einheitliche ‚Nazifizierung des Faches‘ festgestellt“ werden.(13) Gleichwohl habe es personell-strukturelle sowie thematische Berührungspunkte zwischen Politik und Kunstgeschichte gegeben. Für erstere Kategorie ließe sich die Instrumentalisierung der Kunstgeschichte und der Denkmalpflege für den „Kunst- und Kulturgutraub“ anführen, die insbesondere Adam Labuda untersucht hat. Kunsthistoriker, wie Karl Heinz Claasen und Otto Kletzl in Posen, seien „Teil des Systems der totalen Enteignung des öffentlichen, privaten und jüdischen Besitzes der polnischen Bevölkerung“ gewesen.(14) Die Grenzen zwischen sicherndem Kunstschutz und enteignenden Kunstraub waren fließend, so zeigte Michael H. Sprenger am Beispiel des Preußischen Forschungsinstituts für Kunstgeschichte in Marburg, dass wissenschaftliche Forschung mit Fotokampagnen und militärischen Operationen verbunden war: Im „Namen von Wissenschaftlichkeit“ sei nicht davor zurückgeschreckt wurden, „für die Aufstockung des Bilderbestandes die Gunst der Stunde für die eigenen Zwecke zu nutzen und schwer zugängliche, respektive ihnen bislang unzugängliche Objekte für die deutsche Kunstgeschichte zu dokumentieren.“(15) Auf struktureller Ebene ist auch die „Deutsche Akademie zur Wissenschaftlichen Pflege und Erforschung des Deutschtums“ (1925–1945) zu nennen, mit der sich vor allem Christian Fuhrmeister beschäftigt hat. Ihr Ziel war es im Ausland und in besetzten Gebieten das „Deutschtum“ zu fördern, wobei der Bereich Bildende Kunst vom Kunsthistorischen Seminar der Universität München verantwortet wurde.(16) Im Inland wurde das Bild der „deutschen Kultur“ mittels der Festumzüge zum Tag der Deutschen Kunst in München präsentiert. Bei der Darstellung der „Kulturgeschichte des Deutschen Volkes“ spielte, so Stefan Schweizer, der „kunstgeschichtliche Kanon […] als emotionale[r] Sinnträger des Nationalen und Völkischen“ eine zentrale Rolle.(17)

Thematisch lässt sich in gewisser Hinsicht eine „Verengung wissenschaftlicher Fragestellungen auf politisch opportune Ansätze“(18) festmachen. Einer dieser Ansätze war die Überhöhung der „deutschen Kunst“ oder „germanischen Kunst“, der durch die Charakterisierung der Kunstwissenschaft und der Kunstgeschichte in der Festschrift Deutsche Wissenschaft. Arbeit und Aufgabe, erschienen 1939 zu Hitlers 50. Geburtstag, untermauert wurde. Die Kunsthistoriker Alfred Stange und Wilhelm Pinder verbinden darin, die Kunstwissenschaft sowie -geschichte mit der nationalsozialistischen Weltanschauung und begrüßen den Ausschluss jüdischer Kunsthistoriker, Künstler und Kunsthändler, deren Denken und Schaffen dem „Wesen“ der „Deutschen Kunst“ fremd seien.(19) Obwohl keine generelle Ausrichtung auf eine sogenannte „deutsche Kunst“ an allen 25 kunstgeschichtlichen Instituten in der NS-Zeit ausgemacht werden kann,(20) so gibt es doch kunsthistorische Publikation jener Zeit, die in diese Richtung weisen. Sabine Arends Auseinandersetzung mit Albert Erich Brinckmanns Veröffentlichung Geist der Nationen. Italiener – Franzosen – Deutsche (1938) zeigt auf, dass dieser die „kulturelle Überlegenheit der deutschen Kunst aus völkerpsychologischen Gesichtspunkten“ zu erklären versuchte.(21) Während die Italiener für Sinnlichkeit und die Franzosen für Vernünftigkeit stehen, sei den Deutschen die „Vergeistigung“ eigen. In dieser Hinsicht ist auch auf das bereits vor der NS-Zeit etablierte Konzept einer „nordischen Kunst“ in Abgrenzung von einer „südlichen Kunst“ hinzuweisen. Im Nationalsozialismus sei dies, so Susen Krüger-Saß, mit der Theorie einer „Nordischen Rasse“ verbunden und damit rassenpolitisch instrumentalisiert worden.(22) Die Bedeutung der geografischen Verortung von Künstlerinnen und Künstlern als Determinante ihrer Werke in der kunsthistorischen Forschung, unterstrich Nikola Doll, wobei „nicht jeder kunstgeografische Ansatz automatisch rassistisch-völkisch argumentierte.“(23) Die Entwicklung rassistischer Diskurse aus kunstgeografischen Forschungen sei hingegen bei den Kunsthistorikern Dagobert Frey und Alfred Stange nachweisbar. Mit Blick auf die kunsthistorischen Methoden habe es, so Daniela Bohde, nicht nur rassistisch-völkische Betrachtungsweisen gegeben, sondern auch ikonografische und kulturgeschichtliche Ansätze, die sozial-politische Aspekte einschlossen, seien trotz der Emigration des Kreises um den Kunsthistoriker Aby Warburg weiterhin präsent gewesen.(24)

Die historiographische Erforschung der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus hat immer auch die Kontinuitäten in den Blick genommen hat. Da in vielen Fällen die politische Einordnung von Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern nicht eindeutig erfolgen oder bewiesen werden kann, war es vielen kunstgeschichtlich Forschenden, die mehr oder weniger nationalsozialistische Weltanschauungen in ihre Publikationen integrierten, möglich, auch nach 1945 ihren Beruf weiterzuführen und ihre Positionen zu behalten. Als Beispiele seien hier Hans Sedlmayr,(25) Kurt Bauch (26) und Hubert Schrade (27) angeführt.

(Frederike Lausch)

(1) Papenbrock, Martin: „Anmerkungen zur Geschichte und Methodik der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung zur Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“, in: Heftrig, Ruth / Peters, Olaf / Schellewald, Barbara (Hg.): Kunstgeschichte im „Dritten Reich“. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin: Akad.-Verl. 2008, S. 25–38, hier S. 29.

(2) Kurt Bauchs Vortrag „Kunst in der geschichtlichen Sicht der Gegenwart“ (1952); Bauch, Kurt: „Kunst als Form“, in: Jahrbuch für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Nr. 7, 1962, S. 167–188; Kultermann, Udo: Geschichte der Kunstgeschichte. Der Weg einer Wissenschaft, Düsseldorf u. a.: Econ-Verl. 1966. Vgl. Papenbrock 2008 (wie Anm. 1), S. 27.

(3) Papenbrock 2008 (wie Anm. 1), S. 27.

(4) Ebd., S. 26.

(5) Doll, Nikola: Review Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus. Karlsruhe: Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe (TH), Guernica-Gesellschaft, 11.10.2002–12.10.2002, H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews, Dezember 2002.

(6) Papenbrock 2008 (wie Anm. 1), S. 25.

(7) Ebd., S. 27.

(8) Ebd., S. 29.

(9) Ebd., S. 30.

(10) Siehe Doll 2002 (wie Anm. 5).

(11) Siehe Beschreibung des DFG-Projekts: https://www.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/forschung/archiv/gkns/index.html (29.12.2020). Die im Rahmen des Projekts entstandene Datenbank www.welib.de/gkns ist nicht mehr zugänglich.

(12) Je nach kunstgeschichtlichem Institut unterscheiden sich die Ergebnisse, vgl. Arend, Sabine / Schaeff, Sandra / Zeller, Daniel: „Kunstgeschichte in Deutschland 1930–1950“, in: Kritische Berichte, Vol. 30, Nr. 2, 2002, S. 47-61, hier S. 54.

(13) Doll 2002 (wie Anm. 5).

(14) Ebd. Siehe Labuda, Adam S.: „Das Kunstgeschichtliche Institut an der Reichsuniversität Posen und die ‚nationalsozialistische Aufbauarbeit‘ im Gau Wartheland 1939–1945“, in: Held, Jutta / Papenbrock, Martin (Hg.): Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, Kunst und Politik Bd. 5, Göttingen: V und R Unipress 2003, S. 143–160.

(15) Doll 2002 (wie Anm. 5). Siehe Sprenger, Michael H.: „Richard Hamann und die Marburger Kunstgeschichte zwischen 1933 und 1945“, in: Held / Papenbrock 2003 (wie Anm. 14), S. 61–92.

(16) Krings, Julia: Review Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, 1930–1950. Bonn: Kunsthistorisches Institut der Rheinischen Friedrich Wilhems-Universität Bonn im Rahmen des DFG-Projekts GKNS–WEL, 12.10.2006–14.10.2006, H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews, 05.01.2007. Siehe Fuhrmeister, Christian: „Das Kunsthistorische Seminar der Universität München und die Sektion (Deutsche) Bildende Kunst der ‚Deutschen Akademie zur Wissenschaftlichen Pflege und Erforschung des Deutschtums‘. Verbindungen, Überschneidungen und Differenzen“, in: Kraus, Elisabeth (Hg.): Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze. München: Utz 2008, S. 169–208.

(17) Krings 2007 (wie Anm. 16). Siehe Schweizer, Stefan: „Unserer Weltanschauung sichtbaren Ausdruck geben“. Nationalsozialistische Geschichtsbilder in historischen Festzügen zum „Tag der Deutschen Kunst“, Göttingen: Wallstein 2007.

(18) Pressebericht zu Wanderausstellung „Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“, https://www.khi.uni-bonn.de/de/textdokumente/projekte/nationalsozialismus.pdf (29.12.2020).

(19) Vgl. Stange, Alfred: „Kunstwissenschaft“ und Pinder, Wilhelm: „Kunstgeschichte“, in: Deutsche Wissenschaft. Arbeit und Aufgabe, hg. v. Vertretern der deutschen Wissenschaft zu Hitlers 50. Geburtstag, Leipzig 1939, S. 9–13.

(20) Siehe Nicolay, Clara: „Kunstgeschichte im Nationalsozialismus: Nicht mehr das, was sie mal war?“, The ARTicle, 14.07.2020, https://thearticle.hypotheses.org/9011 (29.12.2020).

(21) Doll 2002 (wie Anm. 5). Siehe Arend, Sabine: „Albert Erich Brinckmann (1881–1958)“, in: Held / Papenbrock 2003 (wie Anm. 14), S. 123–142.

(22) Krings 2007 (wie Anm. 16). Siehe Krüger-Saß, Susen: „‚Nordische Kunst‘. Die Bedeutung des Begriffes während des Nationalsozialismus“, in: Heftrig / Peters / Schellewald 2008 (wie Anm. 1), S. 224–244.

(23) Krings 2007 (wie Anm. 16). Sie referiert hier Nikola Dolls unveröffentlichten Vortrag „Von der Nation zum Raum. Positionen der Kunstgeografie“.

(24) Krings 2007 (wie Anm. 16). Siehe Bohde, Daniela: „Kulturhistorische und ikonographische Ansätze in der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“, in: Heftrig / Peters / Schellewald 2008 (wie Anm. 1), S. 189–204.

(25) Siehe Aurenhammer, Hans: „Hans Sedlmayr und die Kunstgeschichte an der Universität Wien 1938–1945“, in: Held / Papenbrock 2003 (wie Anm. 14), S. 161–194.

(26) Siehe Papenbrock, Martin: „Kurt Bauch in Freiburg 1933–1945“, in: Held / Papenbrock 2003 (wie Anm. 14), S. 195–216.

(27) Siehe Schubert, Dietrich: „Heidelberger Kunstgeschichte unterm Hakenkreuz. Professoren im Übergang zur NS-Diktatur und nach 1933“, und Hille, Nicola: „‚Deutsche Kunstgeschichte‘ an einer ‚deutschen Universität‘. Die Reichsuniversität Straßburg als nationalsozialistische Frontuniversität und Hubert Schrades dortiger Karriereweg“, in: Heftrig / Peters / Schellewald 2008 (wie Anm. 1), S. 65–102.