Kurzrezensionen

Wilhelm Pinder: Deutscher Barock (1912)

Wilhelm Pinder (1878–1947) war im Vergleich zu anderen Lehrstuhlinhabern nur relativ kurze Zeit in Darmstadt, fünf Jahre von 1910–1915: Es war eine Durchgangsstation auf der „großen Karriere“, die ihn über Breslau, Leipzig und München zuletzt bis nach Berlin (ab 1935) führte. Pinder ist vermutlich der in der Kunstgeschichte bis heute bekannteste und umstrittenste Vertreter seines Fachs an der TH.

In den Darmstädter Jahren entstand vor allem ein Buch, das bis heute viel zitiert wird und seinen Ruhm begründete, bevor dieser sich im Rückblick durch stets zunehmende nationalistische und völkische Deutungsmuster wieder verdunkelte. Der schmale Band „Deutscher Barock – die großen Baumeister des 18. Jahrhunderts“ erschien 1912 im damals noch in Düsseldorf, später in Königstein firmierenden Verlag Robert Langewiesche in der Reihe „Die blauen Bücher“. Bis 1965 folgten 14 Auflagen, es handelt sich somit um einen Best- und Longseller. Der große Publikumserfolg – schon die erste Auflage umfasste 30.000 Exemplare – steht in direktem Zusammenhang mit der Konzeption der Buchreihe: Wenig Text, viele hochqualitative Schwarz-Weiß-Tafeln und ein schlankes, heftartiges A5-Format mit Soft-Cover. Es handelte sich also um eine dezidiert populärwissenschaftliche Reihe, die nicht die Fachkollegien, sondern eine breite Öffentlichkeit adressierte. Und genau darin bewies Pinder seine besonderen rhetorischen und suggestiven Fähigkeiten.

Pinder sah sich vor eine in der Entstehungszeit schwierige doppelte Aufgabe gestellt: Zum einen wollte er den Barock in den Kanon der großen Kunstepochen des deutschen Nationalerbes aufgenommen wissen. Vergleicht man die anderen Titel der Blauen Bücher, deren unausgesprochenes Ziel die Schaffung eines solchen konsensfähigen Heritage-Fundus der jungen Nation war, so wird erkennbar, was damals als identifikationsstiftend erschien: Deutsche Burgen und Dome des Mittelalters, Hochgebirge und Dorfkirchen. Der Barock galt dagegen als genuin höfisch und klerikal, „frivol“, gekünstelt und elitär, als Ausdrucksform einer Verfallszeit der Nation, geprägt von unkritischer Imitation ausländischer, also französischer und italienischer Vorbilder. Die Provokation lag somit darin, auch und gerade im Barock eine beachtliche deutsche Eigenleistung zu erkennen: es ging um die Rehabilitierung einer lange Zeit als „Perücken- und Jesuitenstil“ abgewerteten Kunst.

Die zweite Herausforderung lag darin, den Barock nicht nur als gleichwertig mit Romanik und Gotik, sondern auch in seiner deutschen Ausprägung als etwas Originelles, Eigenständiges, wir würden heute sagen: Authentisches darzustellen. Galt bislang als höchstes Lob, dass ein deutscher Barockbau fast genauso (gut) gestaltet sei wie die berühmten Vorbilder in den damaligen Kunstzentren Paris und Rom, so sollte nun erwiesen werden, dass die bislang als provinziell bewerteten deutschen Baumeister bestimmte Dinge bewusst anders und erkennbar besser machten als ihre Vorläufer. „Das Problem der Generationen“, ein späteres Lieblingsthema Pinders, deutet sich hier an (S. XXIV): Kann es sein, dass die reife Spätphase eines Stils die Pionierwerke der Vorgänger, dass der Schüler den Lehrer übertrifft? Dass in Deutschland etwas erst zur vollen Reife gelangt, was hundert Jahre vorher südlich der Alpen gesät worden war? Damit lag Pinder im Trend seiner Zeit: 1913 veröffentlichte Kurt Gerstenberg sein epochales Buch zur „Deutschen Sondergotik“, in dem der Autor die These vertritt, dass die im Vergleich mit französischen Kathedralen schlicht und reduziert gestalteten Hallenkirchen des 14. Jahrhunderts, nicht als schlechte Kopie, sondern eine hochoriginelle Weiterentwicklung des berühmten Vorbilds gedeutet werden müssten.

Wie kann man einem breiten Publikum die Augen für solche spezifischen, bisher unterschätzten Qualitäten öffnen? Pinder wählt die Methode der Personalisierung und Individualisierung. Er ordnet seine Beispiele nicht nach Orten oder Objektnamen, sondern nach Künstlern, was freilich manchmal zu Fragezeichen führt (z.B. S. 51: Stammt das Dinglingerhaus in Dresden wirklich vom Zwinger-Erbauer Pöppelmann?). Dem geläufigen Denkmodell seiner Zeit gemäß versteht der Autor die Architekten als archetypische Exponenten ihrer regionalen Herkunft. Als Beispiel sei hier seine Charakterisierung des am Ende der Epoche tätigen Münsteraner Hofarchitekten Johann Conrad Schlaun zitiert: „Da schäumen noch die letzten Wogen des großen alten Barockes. […] Dabei war er ein Urwestfale, die ganze derbe Kraft seines Volkstamms spricht aus seinen Werken. Er besaß zur Kraft die Klugheit, er war mustergültig in feinen Ecklösungen […] durch geschickte Berechnungen, die kein Franzose überbot, auch in fast holländisch wirkenden Backsteinflächen empfindungsvolle Bewegungen herauszuarbeiten.“ (S. XXIV).

Pinders Bild des Deutschen Barock ist somit (noch) nicht von schroffer Abgrenzung und Behauptung von unvergleichlicher Eigenart geprägt, sondern er versucht besondere Qualitäten gerade durch internationale Querbezüge herauszuarbeiten. Hierfür erfindet er eine hoch suggestive Sprache, die den rhetorisch mit allen Wassern gewaschenen Vortragsredner erkennen lässt, an den sich viele Zeitzeugen erinnerten. Wenn er die Dresdner Frauenkirche charakterisiert „ganz undenkbar in Frankreich […] kein gewaltiges Sich-Recken wie bei Michelangelo, sondern ein geschmeidiges Emportauchen“ (S. XVII), so hört man dem Text seine Entstehung im Zeitalter des Expressionismus an. Hier zeigt die sonst oft als trocken-verkopft gescholtene deutsche Kunstliteratur eine Neigung und Fähigkeit zum Plakativen, allgemein Verständlichen, dem sie sonst allzu oft als „unwissenschaftlich“ ausweicht. Der Text bemüht sich um Überredung und Verführung, nicht um nüchtern-distanzierte Argumentation, und ist auch darin zeittypisch. Noch ist die große wechselseitige Abwertung und Abneigung der Nationen gegen die Ausdrucksformen der Nachbarn nicht das bestimmende Movens, sondern die Suche nach Augenhöhe und Anerkennung gerade in einem europäischen Vergleichshorizont.

Ute Engel charakterisiert in „Stil und Nation“, ihrer 2018 erschienen Habilitationsschrift zur deutschen Barockforschung, die gerade gegenüber völkisch-chauvinistischen Tendenzen ausgesprochen kritisch eingestellt ist, Pinders Buch so (S. 422-442): „Mit dieser Kombination von emphatisch argumentierendem Text und einer Bildregie, die gleichermaßen auf sachliche Information wie die Erzeugung von Stimmungswerten achtet, setzt Pinders an sich schmales Buch neue Maßstäbe für die zukünftige deutsche Barockforschung.“ (S. 426f). „Pinder formt die Kunstgeschichte zu einer sinnlichen Angelegenheit um; sie wird nicht nur psychologisiert, sondern auch emotionalisiert. […] Er beschreibt Bauwerke wie lebendige, aktive Wesen.“ (S. 439). „Pinders Deutscher Barock von 1912 erlangte den Rang einer ‚Meistererzählung‘ der deutschen Barockforschung, gerade weil der Autor seine Leser primär auf der emotionalen Ebene ansprach.“ (S. 442).

Vielleicht war es mehr als Zufall, dass mit Dr. Dipl. Ing. Britta Fritze eine Mitarbeiterin der TU Darmstadt (Fachgebiet Entwerfen und Baugestaltung /Prof. Wolfgang Lorch), ihre 2014 publizierte Dissertation zu eben jenen Blauen Büchern vorlegte und dabei stets im engen Austausch mit der damaligen Lehrstuhlvertreterin Prof. Sabine Heiser stand. In den Archiven des Langewiesche-Verlags stieß sie auf interessante Briefwechsel, die zeigen, wie sehr Pinders Perspektive hier durch seine damalige Aufgabe geprägt war, in Überblicksvorlesungen angehende Baukünstler zu schulen: „Es fehlte gar nicht viel, so hätten Sie eines schönen Tages eine regelrechte Petition von Darmstädter Studierenden erhalten, und darin hätte gestanden, dass es ein allseitiger Wunsch und ein ‚Bedürfnis‘ sei […] dass Sie den ‚Deutschen Barock‘ bringen.“ (S. 90, Brief vom 05.08.1911). Genauso gut verständlich erscheint der Einwand, warum der Autor den Vorschlag des Verlegers, auch ein Buch über die deutsche Gegenwartsarchitektur für die Reihe beizusteuern, zurückweisen musste: „Die Darmstädter Kollegenschaft, von der ich doch allerhöchstens nur den Pützerschen Bahnhof bringen würde, müsste mir den Ausschluss ihrer sämtlichen, übrigens an sich meist tüchtigen, Leistungen sehr verübeln. Für den Kunsthistoriker einer Techn. Hochschule ist die Angelegenheit zu heikel“ (S. 92, Brief vom 22.12.1912).

(Meinrad von Engelberg)

Hans Gerhard Evers: Staat aus dem Stein. Denkmäler Geschichte und Bedeutung der ägyptischen Plastik während des Mittleren Reichs, 2 Bde., München 1929

Während seiner Zeit als Assistent des Heidelberger Ägyptologen Hermann Ranke erarbeitete Evers ein zweibändiges Werk über die ägyptische Plastik des Mittleren Reichs, das zugleich seine erste monographische Publikation darstellt. Hervorgegangen ist die Arbeit aus einer Forschungsreise Evers nach Ägypten im Wintersemester 1925/26, die von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft sowie dem US-amerikanischen Mäzen John M. Wulfing finanziert wurde. Der erste Band umfasst katalogartig 148 s/w-Tafeln von altägyptischer Plastik, ergänzt um einige Architektur- und Landschaftsaufnahmen, sowie auf rund 110 Seiten eine kunstgeschichtliche Abhandlung über die Plastik des Mittleren Reichs. Der erste Band war laut Evers auch an ein nichtwissenschaftliches Publikum gerichtet. Die hauptsächlich Datierungsfragen erörternden Ausführungen, die sich an Fachwissenschaftler*innen wenden, fasste Evers deshalb im Stile längerer Fußnoten im zweiten Band zusammen. Das zweibändige Werk beansprucht demnach, Dokumentation, allgemeinverständliche Kunstgeschichte und wissenschaftliche Untersuchung der Plastik des Mittleren Reichs zugleich zu sein.

Zahlreiche Fotografien im Tafelteil hat Evers selbst aufgenommen. Sie zeigen nicht nur sein Talent als Kunst- und Architekturfotograf, sondern auch sein frühes theoretisches Interesse am jungen Medium. Evers reflektierte, wie Plastik in situ fotografisch am besten dokumentiert werden sollte (Bd. 2, S. 2) und wählte bewusst unbekannte Ansichten, die noch nicht zuvor veröffentlicht wurden. Der in Band 2 verfolgte wissenschaftliche Ansatz entspricht im Wesentlichen der in der Kunstgeschichte der Zeit dominanten Methode der Formanalyse, die in eine stilistische Entwicklungsgeschichte mündet. Für den Bereich des ägyptischen Mittleren Reichs war das jedoch insofern progressiv, als Teile der Forschung seinerzeit eine kunstgeschichtliche Entwicklung Altägyptens grundsätzlich in Abrede stellten. In der übergreifenden kunsthistorischen Abhandlung versuchte Evers hingegen, wie es im Titel bereits anklingt, die Plastik des Mittleren Reichs als Ausdruck der Gesellschaft zu verstehen und von ihr sowohl auf den Staat und als auch die Menschen zurückzuschließen. In dieser Hinsicht stellt Evers Buch ein frühes Beispiel für einen kulturwissenschaftlichen Ansatz dar, den er in seinem zweiten Buch „Tod, Macht und Raum“ auf die Architektur übertrug.



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(Hauke Horn)

Ottilie Rady: Das weltliche Kostüm von 1250–1410 nach Ausweis der figürlichen Grabsteine im mittelrheinischen Gebiet, Dachau 1976 (Privatdruck)

Das Buch mit dem, wie Ottilie Rady selbst schreibt, etwas umständlichen Titel „Das weltliche Kostüm von 1250–1410 nach Ausweis der Grabsteine im mittelrheinischen Gebiet“ ist ihre Dissertation mit der sie 1922 bei Rudolf Kautzsch an der Universität Frankfurt promoviert wurde. Das Ziel war mit Hilfe der Erforschung der mittelalterlichen Kleidung der Figuren auf den mittelalterlichen Grabsteinen, die ja in der Regel datiert waren, der zukünftigen Kunstgeschichte eine Datierungshilfe für andere Kunstwerke an die Hand zu geben. Dabei wendete Rady eine von ihrem früheren Professor Paul Clemen in Bonn benutzte Methode an, der ebenfalls Datierungsfragen in seiner Mittelalterforschung mithilfe der Kostümkunde bearbeitete. Ein ähnliches Thema hatte die Clemen-Schülerin Aenne Liebreich in ihrer Dissertation „Kostümgeschichtliche Studien zur kölnischen Malerei des 14. Jahrhunderts“ angewendet. Die Wahl des kostümgeschichtlichen Themas durch Rady sollte man also nicht vorschnell als typisch weibliches Forschungsthema einordnen, sondern als kunsthistorische Methode der Bonner Clemen-Schule ansehen.

Bildtafel VII aus der Publikation „Das weltliche Kostüm von 1250-1410“, mit aquarellierten Zeichnungen von mittelalterlichen Wandgemälden und Miniaturen von Ottilie Rady

Bildtafel IV aus der Publikation „Das weltliche Kostüm von 1250-1410“, mit Umrisszeichnungen von Ottilie Rady von Frauen- und Männertrachten

Bildtafel V aus der Publikation „Das weltliche Kostüm von 1250-1410“, mit Umrisszeichnungen von Ottilie Rady von Frauen- und Männertrachten

Selbstbewusst schreibt Ottilie Rady in ihren 1975 niedergeschriebenen Lebenserinnerungen zu ihrer Arbeit: „Meine Ergebnisse schienen mir geradezu bewegend. Es zeigte sich in diesem interessanten 14. Jahrhundert eine Wechselbeeinflussung des weiblichen Kostüms durch das männliche, dieses hinwieder war durch die Rüstung, das Aufkommen des Plattenpanzers, beeinflusst, kurzum: Ich hatte wirkliche Forschungsergebnisse und war sehr glücklich.“

Das Buch ist zudem ein Beispiel dafür, unter welchen schwierigen Bedingungen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg kunsthistorische Forschung betrieben wurde. Aufgrund der finanziellen Umstände musste Ottilie Rady ihren Untersuchungsgegenstand in der näheren Region suchen, da sie nicht motorisiert war und zugleich aber alle 120 Grabsteine vor Ort anschauen wollte. „Photographieren“, schreibt sie „war ganz ausgeschlossen, selbst wenn ich Filme oder Platten aufgetrieben haben würde, denn Papier für Kopien gab es nicht.“ Daher zeichnete sie alle Steine nach den erhaltenen Abbildungen in den Inventaren bzw. vor Ort nach dem Original in einer einfachen „Strichmanier, die nur die Kostüme bzw. Rüstungen festhielt“, und machte sich dann an die Materialauswertung.

Das maschinenschriftliche Original ihrer Doktorarbeit befindet sich in der Lipperheidischen Kostümbibliothek in Berlin (Lipp Cc 49 kl), hier haben sich auch die originalen Zeichnungen aller 120 Figuren in einer einheitlichen Größe von 18 cm erhalten. Aufgrund der Inflation konnte Rady die Schrift aber nicht 1922 wie geplant in dem Verlag Bruckmann in München drucken. Welchen Wert Rady ihrer Doktorarbeit beimaß, sieht man daran, dass sie dieses aufgrund der Inflation 1922 nie veröffentlichte Manuskript 1976 auf eigene Kosten in 250 Exemplaren drucken ließ. Das publizierte Buch hat 56 Seiten Text und ist mit acht ganzseitigen Bildtafeln ergänzt, in dem ihre wertvollen Zeichnungen von Männer- und Frauentrachten nun in deutlich kleinerem Format abgedruckt wurden.

(Christiane Salge)

Quellen:

Archiv: Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, Nachlass Ottilie Thiemann, IA 7, Lebenserinnerungen (alle Zitate S. 40).

Barbara Lange: Aenne Liebreich (1899-1939/40)

Die Geschichte des Kunstgeschichtlichen Instituts der Goethe Universität Frankfurt: 1915-1995, hrsg. vom Direktorium des Kunstgeschichtlichen Instituts, Frankfurt am Main 2002 (Beitrag zu Ottilie Rady, S. 75-78).

Hans Gerhard Evers: Tod, Macht und Raum als Bereiche der Architektur, München 1939

Unter den titelgebenden Oberbegriffen „Tod, Macht und Raum“ fasste Hans Gerhard Evers in dem 1939 publizierten Buch verschiedene Studien zur Architekturgeschichte in Form von in sich geschlossenen Kapiteln zusammen, darunter seine 1932 in München angenommene Habilitationsschrift über die „Breitrichtung der Basilika“. Weitere Kapitel behandeln etwa das Grabmal des Theoderich in Ravenna oder das romanische Stufenportal [zeittypisch im Singular verallgemeinert], aber auch eine Diskussion über den Denkmalbegriff bei Georg Dehio und Alois Riegl sowie eine längere Studie zu Herrenchiemsee, die offenbar den Grundstock für Evers’ fast 50 Jahre später erschienene Publikation über Ludwig II. von Bayern bildete. Mit der enormen zeitlichen Spannweite von der Spätantike bis in das frühe 20. Jahrhundert wie auch der thematischen Bandbreite vom herrschaftlichen Grabbau bis zur zeitgenössischen Denkmalpflegetheorie steht das Buch geradezu exemplarisch für die erstaunliche Vielseitigkeit des Forschers Evers.

Der übergeordnete, wahrscheinlich aus Evers’ früherer Beschäftigung mit altägyptischer Kunst hervorgegangene Ansatz Evers’, Architektur auf bedeutungsvolle Kategorien wie Tod und Macht zu beziehen, macht das Werk zu einem frühen Beispiel der (auch politischen) Architekturikonologie, ohne freilich den von Günter Bandmann 1951 fundierten Terminus zu nutzen. Evers verfasste allerdings keine Theorie des Ansatzes, sondern setzte sich stattdessen konkret mit Themen wie „Stein und Macht“ (S. 83) oder die „Säule als Hoheitszeichen“ (S. 93) auseinander. Die Leistung des Werks besteht somit aus heutiger Sicht vor allem in der kulturgeschichtlichen Perspektive, Architektur im historischen und lokalen Kontext zu betrachten und somit nach Bedeutungen fragen zu können. Folgerichtig distanziert sich Evers in dem Buch scharf von der entwicklungsgeschichtlichen Methode Alois Riegls, die er als entkontextualisiert kritisiert. Mit seinen rudimentären Anmerkungen zur materiellen Erinnerungskultur wie auch dem raumbezogenen Ansatz greift Evers ebenfalls auf Jahrzehnte später aktuell werdende Forschungsfelder vor. Angesichts dieser Weitsicht mag man dem 80 Jahre alten Buch nachsehen, dass die einzelnen Texte heute inhaltlich gesehen überholt sind und methodisch aufgrund der oft subjektiven und teils spekulativen Argumentation problematisch erscheinen. Auch die Veröffentlichung zur Zeit des Nationalsozialismus muss man bei der Lektüre kritisch mitbedenken.



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(Hauke Horn)

Koch: Die großen deutschen Maler. Die Geschichte ihrer Kunst vom 9. bis 20 Jahrhundert, 1962

Das Buch „Die großen deutschen Maler: Die Geschichte ihrer Kunst vom 9. bis 20. Jahrhundert“ von Georg Friedrich Koch ist ein stattlicher Bildband, dessen Illustrationen komplett in Farbe reproduziert wurden – eine echte Seltenheit in den 1960er Jahren. Mit einer Rückenhöhe von 32,8 cm enthält der Band knapp 140 großformatige Bildtafeln von Zeichnungen und Gemälden aus zwölf Jahrhunderten. Während den Abbildungen ein kontextualisierender Einleitungstext vorgeschaltet ist, werden die Kunstwerke in einem abschließenden Textblock einzeln vorgestellt, ganz ähnlich der Struktur, wie sie beispielsweise in den ab 1966 erschienenen Bänden der weithin bekannten Reihe PROPYLÄEN KUNSTGESCHICHTE, einem deutschsprachigen Standardwerk zur Kunstgeschichte und Archäologie, umgesetzt wurde.

Anders als der Titel vielleicht suggerieren mag, handelt es sich bei dem Buch nicht um eine Publikation mit einem Fokus auf den Biographien der Maler, sondern ein Überblickswerk über die Malkunst im Gebiet des heutigen Deutschlands und ihrer Bedeutung. Der Bildband „möchte“, so Georg Friedrich Koch einleitend, „an bedeutenden Beispielen der Malerei die Frage nach der Eigenart und Größe des Deutschen in der Kunst stellen, des Deutschen als eines integrierenden Elements, als eines Teilschicksals der europäischen Kunst“ (S. 6). Es sei nicht beabsichtigt, eine führende oder nicht führende Rolle der deutschen Malerei herauszuarbeiten. Vielmehr soll die eigene geschichtliche Entwicklung methodisch als Maßstab für den Rang der Kunst herangezogen werden.

Der Band beginnt im hohen Mittelalter mit einer Evangelistendarstellung und endet 1935 mit dem Bild „Tennisspieler“ von Willi Baumeister. Matthias Grünewald, Lucas Cranach d. Ä., Hans Holbein d. J., Adam Elsheimer, Adolf von Menzel und Paul Klee sind jeweils mit drei oder mehr Gemälden vertreten, wodurch sich gewisse Akzentsetzungen ergeben. Der lange Untersuchungszeitraum trägt zwar zur Objektivierung in der theoretischen Abhandlung bei. Interessant ist aber, dass zum Beispiel mit Maulbertschs Bozzetto für das Deckengemälde der Pfarrkirche Wien-Schwechat auch Kunst aus Österreich aufgenommen wurde, ohne dass darüber erkennbar reflektiert wurde. Die Publikation verzichtet überdies auf jegliche Angaben über konsultierte oder weiterführende Literatur und ist daher gleichsam als Vorläufer der Coffee Table Books wissenschaftlich nur eingeschränkt verwertbar.

(Martin Pozsgai)

Quellen:

Georg Friedrich Koch: Die großen deutschen Maler. Die Geschichte ihrer Kunst vom 9. bis 20. Jahrhundert, Berlin – Darmstadt – Wien: Deutsche Buch-Gemeinschaft, 1962.

Georg Friedrich Koch: Die großen deutschen Maler. Die Geschichte ihrer Kunst vom 9. bis 20. Jahrhundert, Berlin – Darmstadt – Wien: Deutsche Buch-Gemeinschaft 1962.

Hans Lehmberg: Haar und Frisur in der bildenden Kunst

„Haar und Frisur in der bildenden Kunst“ erschien 1983, acht Jahre nach Hans Lehmbergs Emeritierung. Das Büchlein ist keine kunsthistorische Publikation im eigentlichen Sinne und möchte das auch nicht sein. Es ist vielmehr Ausdruck der lebenslangen Faszination Lehmbergs für die bildende Kunst und seiner besonderen Perspektive auf dieselbe, die ganz von seiner Berufung, der Vermittlung des Friseurhandwerks im Kontext der Gewerbelehrer*innenausbildung, geprägt ist.

Die Ausstattung des Büchleins ist gemessen an seinem Umfang opulent. Zwischen golden schimmernden Buchdeckeln aus festem Karton präsentiert sich der Innenteil reich an Farbabbildungen, die sich mit dem Textanteil etwa die Waage halten. Mittig am unteren Rand des Buchdeckels verweist das Logo des Wella-Konzerns auf die Zusammenarbeit Lehmbergs mit dem Unternehmen, das die Publikation finanzierte und herausgab. Lehmberg, der während seiner Jahre an der TH Darmstadt vielfach mit Wella kooperierte, hielt diesen Kontakt offenbar auch noch nach seiner Emeritierung aufrecht.

Wie schon der Titel verrät, sind es Haare und Frisuren, die den Pädagogen und Friseurmeister Lehmberg hier an der Kunst interessieren. Auf 96 Seiten widmete er sich ausschließlich dem Haupthaar bekannter und weniger bekannter Protagonist*innen der Kunstgeschichte. Seine Beispiele reichen von antiker Skulptur über spätmittelalterliche Plastik (u. a. Schöne Madonnen oder Schnitzwerke von Riemenschneider), Malerei der Renaissance (u. a. Dürer und Botticelli) und des Barock (hier insbesondere Rubens) bis ins 19. und 20. Jahrhundert (u. a. Renoir, Toulouse-Lautrec, Picasso). Sogar die Skulptur einer tibetischen Gottheit wird einbezogen. Insgesamt wirkt diese Werkauswahl etwas eklektisch. Weder eine bestimmte Zeit, noch ein bestimmter Ort oder eine Schule scheinen hier ausschlaggebend gewesen zu sein, es geht allein um prominent dargestelltes Haar und besonders gestaltete Frisuren.

Lehmberg griff für das Buch offenbar auf seinen persönlichen Bilderfundus zurück, den er auf Streifzügen durch die großen europäischen Museen zusammentrug und der ihm in der Lehre als Anschauungsmaterial diente. Für die Publikation sortierte er das Material thematisch in acht kurze Kapitel. Die Schwerpunkte sind unterschiedlich konkret und reichen vom „Zauber schöner Haare“ über „Haar als Sinnbild“ bis zu „Haar und Frisur als Bildmittelpunkt“ oder „Frisierszenen“. Dem Ganzen ist eine aufschlussreiche kurze Einleitung vorangestellt, in der Lehmberg seinen Standpunkt zum Thema Friseurhandwerk und Kunst erläutert. Er stellt klar: „Mit der Behauptung, daß der Friseur mit Teilen seiner Berufstätigkeit eine schöpferische Arbeit leistet, soll nun nicht die oft gehörte Übertreibung vertreten werden, der Friseur sei ein Künstler“. Und doch, so Lehmberg, liege ein „künstlerisches Element“ im Friseurhandwerk (S. 10). Zugleich betont er ein Moment der wechselseitigen Inspiration: Künstler würden vom „Zauber schönen Haares“ inspiriert, während Friseure Inspiration aus den Bildwerken der Kunstgeschichte ziehen könnten. Lehmberg ist sich der Unterschiede zwischen Atelier und Frisiersalon also mehr als bewusst, und doch sucht er nach den Verbindungen und Potenzialen einer gegenseitigen Befruchtung.

Bei der Lektüre wird schnell deutlich, dass sich Lehmberg mit diesem Buch nicht an ein akademisches Publikum wendet. Der Duktus ist eher journalistisch-populärwissenschaftlich. Davon zeugen auch die typografisch hervorgehobenen Zwischentitel an den Seitenrändern, die etwa lauten: „Nimm dich in acht…“, „Die große Verführerin“ oder „Farben als Leidenschaft“. Möglicherweise hatte er beim Schreiben seine ehemaligen Studierenden oder kunsthistorische Laien vor Augen, vielleicht auch Friseur*innen und deren Kund*innen. Im Kapitel „Haar und Frisur im Dienst der künstlerischen Idee“ bezeichnet Lehmberg den großen Botticelli als einen Renaissance-Zuckerbäcker, dem bei den Frisuren auch einmal die Phantasie durchgegangen sei. Einige seiner Frisuren seien „frisurentechnisch gar nicht durchführbar“ (S. 36). Über die Gründe für solche Haar-Orgien lasse sich nur spekulieren. Sie könnten formalästhetisch motiviert sein, vielleicht habe Botticelli aber „auch nur die Fülle des Haares gereizt, die so eigenartig zu der renaissance-üblichen hoch ausrasierten Stirn steht“ (S. 37). Rubens hingegen, so lernen wir im Kapitel „Liebevolle Hinwendung großer Künstler auf die Darstellung des Haares“, habe mit dem schütteren Haar seiner zweiten Frau Hélène Fourment schwer zu kämpfen gehabt. Sie müsse, so schreibt Lehmberg, „ein recht schlecht frisierbares, schlaffes Haar gehabt haben, eine Haarqualität, die noch vor etwa zwanzig Jahren geradezu der Schrecken des Friseurs gewesen wäre und auch heute noch nicht gerade sein Entzücken hervorriefe“ (S. 22). Lehmberg interpretiert, Rubens müsse diese Haarqualität als Mangel empfunden haben, da er Fourment, wenn sie für allegorische oder mythologische Gemälde Modell stand, „volles und langes Haar von seidigem Glanz“ verlieh.

Kunsthistorisch versierte Leser*innen werden über solche Interpretationen bestenfalls schmunzeln. Auch werden sie die unvollständigen Bildangaben bemängeln und eine intensivere Berücksichtigung historischer Kontexte vermissen. Der größte Kritikpunk aus kunsthistorischer Sicht wäre wohl die Tatsache, dass Lehmberg seine Beispiele durchweg als Abbilder einer (historischen) Wirklichkeit begreift und sich für das Moment künstlerischer Inszenierung wenig sensibel zeigt. Dem ist zu entgegnen, dass für Lehmberg, der ja kein Kunsthistoriker war, kunsthistorische Methodenstandards keine Rolle spielten. Er nimmt sich vielmehr alle Freiheiten des kunsthistorischen Dilettanten und Emeritus heraus. Durchaus bemerkenswert sind allerdings seine feine Beobachtungsgabe, der ausgeprägte Sinn fürs Detail und ein beachtliches Überblickswissen, die ihn sogar zu einer frisurenbasierten Datierungsmethode geführt haben, die im Buch allerdings kaum zur Anwendung kommt.

Es ist der assoziative und unwissenschaftliche Zugang, der den Charme dieses Büchleins ausmacht und der stellenweise zu Erkenntnissen führt, die konventionell kunsthistorischen Untersuchungen verborgen bleiben müssen. Lehmberg bietet hier einen originellen Zugang zu den tausendfach interpretierten und geradezu ‚totgesehenen‘ Meisterwerken der europäischen Kunstgeschichte. Ob die Lektüre des Büchleins den Blick auf die Kunst nachhaltig verändern kann, wäre beim nächsten Museumsbesuch zu prüfen.

(Lisa Beißwanger)

Quellen:

Lehmberg, Hans: Haar und Frisur in der bildenden Kunst. Darmstadt 1983.

Hans Gerhard Evers/Klaus Eggert: Ludwig II. von Bayern. Theaterfürst – König – Bauherr: Gedanken zum Selbstverständnis, München 1986

Im 100. Todesjahr des bayerischen Märchenkönigs kam 1986 das von Hans Gerhard Evers verfasste Buch über Ludwig II. als Theaterfürsten, König und Bauherrn heraus. In einer klugen Analyse brachte der Autor architektonische und künstlerische Zeugnisse sowie Ego-Dokumente und Objekte aus dem persönlichen Umfeld des Bayernkönigs zusammen. Einem grundlegenden Kapitel über die Kronprinzenzeit Ludwigs folgen die drei Hauptkapitel „Theaterfürst“, „König“ und „Bauherr“, in denen das Selbstverständnis des Monarchen als Zentrum von Ideen dargelegt wird, aus denen die Theateraufträge, dann die Freundschaft zum Komponisten Richard Wagner sowie die Schlossbauten hervorgehen. Evers hatte für diese Publikation auch in den Tagebüchern Ludwigs im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher gelesen. Infolge einer beginnenden Alzheimererkrankung konnte Evers die Veröffentlichung des Buches nicht mehr selbst vornehmen. Unter der Herausgeberschaft von J. A. Schmoll gen. Eisenwerth wurde daher die Drucklegung durch Klaus Eggert besorgt.

In einem eigenartigen Schreibstil gehalten, der mit zahlreichen Gedankenstrichen den Fließtext immer wieder unterbricht und Einhalt zum Nachdenken gebietet, breitete Evers seine Untersuchung und Beurteilung der Leistungen Ludwigs auf künstlerischem Gebiete aus. König-Sein ist gemäß Evers sowohl der Inhalt des Theaterfürsten wie der des Bauherrn. Beide Bereiche seien nicht allein durch den gemeinsamen Inhalt verbunden gewesen, sondern waren überdies untereinander verwoben, etwa wenn Modelle von Szenenbildern nachweislich in Ludwigs Wohnräumen aufgestellt waren. Ludwig war demnach ein König, der dreidimensional dachte und Theater und Architektur nebeneinander stellte. Evers pointiert dies in seinem Schlusssatz: „Wie sehr ist er [Ludwig] ein Mensch, der wirklich nach eigenen Gesetzen wuchs, – der seine eigenen Möglichkeiten verwirklichte, – der seine Möglichkeiten ausschöpfte. Der erfolgreichste König des 19. Jahrhunderts.“ Diese Gesamteinschätzung ist gleichsam das Extrakt seiner jahrzehntelangen Forschungen zum Thema.

(Martin Pozsgai)

Quellen:

Hans Gerhard Evers/Klaus Eggert: Ludwig II. von Bayern. Theaterfürst – König – Bauherr: Gedanken zum Selbstverständnis, München: Prestel 1986

Hans Gerhard Evers, in: Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Gerhard_Evers (09.12.2020)

Text folgt.