Sendlinger Küche – Ein Laboratorium zum Thema Essen
Masterthesis Sommersemester 2024

Hrsg. vom Fachgebiet Entwerfen und Raumgestaltung (Prof.In Johanna Meyer-Grohbrügge, Robert Anton M.Sc., Dipl.-Ing. Katharina Volgger)

Im Münchner Stadtteil Sendling entsteht an der Schnittstelle zwischen dem historischen Sendlinger Zentrum und dem Münchner Großmarkt eine neue Architektur, die sich dem Thema Nahrungsproduktion und -forschung widmet. Die „Sendlinger Küche“ ist ein Ort, der nicht nur die bestehenden lokalen Funktionen am Rande des Großmarktes, wie die Erzeugergemeinschaft – eine Gemeinschaft lokaler Gärtnerbetriebe – integriert, sondern auch ein sogenanntes „Food Lab“ beherbergt: ein Laboratorium für Unternehmer:innen, Forschende und Sendlinger:innen. Das neue Zentrum soll die Sichtbarkeit und Wertschätzung zum Thema Essen fördern. Durch die öffentliche Darstellung und das Feiern des „Lebensmittels“ wird ein Nutzungstyp untersucht, der eine neue, urbane, produktive Praxis auslotet, die den Austausch zwischen ländlicher und städtischer Produktion unterstützt. In der Thesisarbeit geht es um die Sichtbarmachung dieser unsichtbaren Verbindungen. Dabei wird untersucht, wie diese Service-Architektur dazu beiträgt, die Produktivität im urbanen Raum zu fördern.

Die Thesisarbeiten beschäftigen sich mit der Umnutzung und Erweiterung bzw. dem Neuentwurf der sog. Gärtnerhalle, die in den 70er Jahren errichtet wurde; die lokalen Gemüsehändler sollten hier einen überdachten Ort zum Verkauf Ihrer Waren in Großmarktnähe bekommen. Heute findet der Verkauf der Waren von 2:30 Uhr bis etwa 9:00 Uhr morgens statt, die restliche Zeit ist die Halle mit den Verkaufsständen ungenutzt. Der Ort soll nun erweitert werden. Es sollen drei programmatische Bereiche innerhalb des neuen Zentrums mit dem Namen „Sendlinger Küche“ geschaffen werden.

Die „Sendlinger Küche“ als Versorgungszentrum: Die bestehende Erzeugergemeinschaft versorgt München mit frischen Produkten aus dem Umland.

Die „Sendlinger Küche“ als Verwertungszentrum: Sie demonstriert anhand verschiedener Methoden die Umwandlung von Lebensmittelabfällen in wertvolle Produkte oder Nebenprodukte. Die „Sendlinger Küche“ als Produktions- und Forschungszentrum: In einem synergetischen System werden hier Lebensmittel angebaut. Zudem forscht und bildet die „Sendlinger Küche“ im Bereich (ausgewogene) Ernährung. Eine Vielzahl von Küchenstudios dienen als offene Infrastruktur für Schulen, Vereine und Interessierte.

Die bestehende Gärtnerhalle soll dabei möglichst adaptiert oder umgebaut werden. Das Grundstück mit seiner neuen Funktion wird als städtebauliches Gelenk betrachtet. Die strategische Position der „Sendlinger Küche“ ermöglicht es, den Stadtteil Sendling und das Großmarktareal sowohl urbanistisch als auch programmatisch zu verbinden.

Sendlinger Küche <3

Die heutige Gärtnerhalle der Erzeugergemeinschaft Großmarkt München dient in ihrer jetzigen Nutzung ausschließlich als Verkaufsfläche von und für Händler:innen. Der Verkauf findet in den frühen Morgenstunden statt, wodurch das Gebäude nur halbtägig genutzt wird. Durch den Entwurf wird die Gärtnerhalle zukunftsfähig gemacht: Der Bestandsbau wird auf der gesamten Grundfläche aufgestockt. Die Funktionen von Küchenstudios, Lehrräumen und Gastronomie ergänzen den laufenden Marktbetrieb. Die bestehende Gärtnerhalle fungiert künftig als Foyer für die umliegenden Nutzer:innen, die sich auf dem Weg in ihre Küchen frisch mit gekauftem Gemüse versorgen können. Die vertikale Verbindung wird durch ein Netzwerk aus Speiseaufzügen und verschiedenen Sichtbeziehungen hergestellt. Eine eingezogene Technikebene, die auch Lager- und Kühllagerflächen umfasst, versorgt sowohl das neue Obergeschoss als auch das Bestandsgeschoss mit Luft, Wasser, Elektrizität und Biogas. Durch die flächige Anordnung der Technikebene kann von jedem Punkt im Obergeschoss über Plug-and-Play-Schnittstellen auf die Versorgung zugegriffen werden. Die neue Struktur fügt sich materialgleich ein und ergänzt das Bestandstragwerk durch zusätzliche Stützen im Erdgeschoss. Ein raumhohes Fachwerk auf der Ebene des Technikgeschosses schafft einen offenen Grundriss, der frei genutzt und bespielt werden kann. Es entsteht ein neues Raster, das sich an der Teilung des Bestands orientiert und die neue Fläche entsprechend zoniert. Das neu interpretierte Sheddach sorgt für eine gleichmäßige, indirekte Belichtung jedes einzelnen Küchenstudios.

Ausgezeichnet mit dem Fachbereichspreis für die beste Masterthesis und mit dem Förderpreis der Zeitschrift „wettbewerbe aktuell“

SENDLINGER KÜCHENGEMEINSCHAFT

Zentrum für Forschung, Bildung und Erfahrung von Lebensmittelkreisläufen

Die Sendlinger Küchengemeinschaft ist ein Ort, der nicht nur die vorhandenen lokalen Funktionen am Rande des Großmarktes München, wie die Erzeugergemeinschaft, integriert, sondern auch ein Laboratorium für Unternehmer:innen, Forschende und Sendlinger:innen, das die Sichtbarmachung und die Wertschätzung zum Thema Essen fördert. Die Nutzer:innen und die Besucher:innen erleben den gesamten Prozess der Lebensmittelherstellung. Die drei Hauptziele der Arbeit sind es die bestehende und tagsüber ungenutzte Halle der Erzeugergemeinschaft zu aktivieren, die unterschiedlichen Nutzergruppen räumlich zu verknüpfen und die Prozesse der Lebensmittelindustrie erlebbar zu machen. Durch eine räumliche Verbindung zwischen den privaten Nutzer:innen der Erzeugergemeinschaft und Forschungsküchen, sowie öffentlichen Bereichen des Gebäudes, wie Mietküchen und Café, soll der Austausch zum Thema Lebensmittel entstehen. Dadurch können die Prozesse der Lebensmittelindustrie gesehen und für Besucher:innnen, wie beispielsweise Schulklassen während einer Projektwoche erlebbar gemacht werden.

Weiterbauen der Tragstruktur: Die vorhandene Stahlstruktur der Gärtnerhalle wird, der städtebaulichen Situation folgend, weitergebaut. Dadurch entsteht eine aufgefächerte Sheddachstruktur, welche als große einladende Geste zum Sendlinger Stadtteil gerichtet ist.

Fassung der Dachbewegung: An den jeweiligen Endpunkten der Dachstruktur werden, dem bestehenden Raster folgend, geschlossene Funktionsriegel ergänzt. Organisation: Die beiden Riegel nehmen alle Nebenfunktionen der Gärtnerhalle und des Forschungsgebäudes auf. Durch die unterschiedlichen Nutzungsphasen des Gebäudes können diese zum Großteil zeitversetzt gemeinsam genutzt werden. Unter dem großen gemeinsamen Dach entsteht so eine frei bespielbare Fläche.

Sendlinger Küche-Ein Laboratorium zum Thema Essen

Das Projekt „Sendlinger Küche“ strebt an, Nachhaltigkeit und Flexibilität in der Nutzung bestehender städtischer Räume zu fördern. Im Mittelpunkt des Entwurfs steht die Idee, möglichst viel von der vorhandenen Bausubstanz zu erhalten. Dies dient nicht nur Ressourcen zu schonen und den ökologischen Fußabdruck zu minimieren, sondern auch der Bewahrung gemeinschaftlicher Erinnerungen der Anwohner.

Zeitliche Überlagerung und multifunktionale Nutzung: Ein Schlüsselmerkmal des Entwurfs ist die zeitliche Überlagerung verschiedener Nutzungen im selben Raum. Der bestehende Kräuter-, Gemüse- und Obstgroßmarkt, der früh morgens in Betrieb ist, wird durch ein flexibles Raumkonzept ergänzt. Am Vormittag und Nachmittag verwandelt sich der Raum in ein Küchenstudio , Lehr- und Ausstellungsgelände. Dabei kommen Kisten zum Einsatz, die als flexible und mobile Möbelstücke dienen.

Flexibles Kistensystem: Inspiriert von den im Großmarkt häufig genutzten Kisten, wurde ein System unterschiedlich großer Kisten entwickelt. Diese Kisten sind nicht nur zur Lagerung von Gemüse geeignet, sondern können auch zu Möbelstücken gestapelt werden. Durch ihre Flexibilität können sie je nach Bedarf im Raum bewegt und angeordnet werden, um verschiedene Funktionen zu unterstützen.

Das Konzept der Sendlinger Küche adressiert die zunehmende Flächenknappheit in städtischen Gebieten. Durch die multifunktionale Nutzung von Räumen zu verschiedenen Tageszeiten wird der Bedarf an neuen Bauflächen reduziert.

Sendlinger Küche-Ein Laboratorium zum Thema Essen

Die Gärtnerhalle befindet sich an der Schnittstelle zwischen dem Großmarktareal und dem lebendigen Stadtteil Sendlingen, der durch eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Kultur und Freizeit geprägt ist. Das Gebiet des Großmarktareals, welches ursprünglich als Zentrum von Sendlingen geplant war, soll aufgrund der wachsenden Wohnungsnot umstrukturiert und durch die Sendlinger Küche ergänzt werden.

Ziel ist es, die Funktionen miteinander zu vereinen und einen nahtlosen und niederschwelligen Übergang zwischen den beiden Bereichen zu schaffen. Dabei sollen sowohl die BewohnerInnen des Stadtteils, die umliegenden Schulen, als auch neue NutzerInnen und Betriebe einbezogen werden, um die Stadt–Land Verbindung zu stärken. Die Sendlinger Küche stellt ein offenes Gebäude zum Thema Nahrungsmittelherstellung- und verwertung dar, das rund um die Uhr von Besucher- und NutzerInnen bespielt werden kann.

Das Gebäude wird entlang seiner Hauptausrichtung zu beiden Seiten erweitert und fungiert somit als Filter zwischen Öffentlichkeit und Privatgelände des Großmarktes.

Das Volumen entwickelt sich aus der Bestandshalle. In südlicher Richtung zur Stadt setzt das Volumen eine klare Kante, wodurch sich ein neuer, städtischer Platz bildet. Die Küchenstudios fungieren dabei als eine Art Schaufenster, die den Platz bespielen. Die lineare Ausrichtung und Durchwegung der Bestandshalle wird dabei beibehalten.

Der Fokus liegt auf dem kommunikativen Bereich, welcher Sichtbezüge, Blickkontakte, informellen Austausch und die Belebung des Gebäudes fördert. Er bildet die Verbindung von Forschung, Lehre, Experimentieren, Aufenthalt und Essen und verbindet so die Küchenstudios mit dem Stadtboden und der Gärtnerhalle.