Vergangenes Licht simulieren

Kurt-Ruths-Preis 2022 geht an Dr.-Ing. Andreas Noback

04.07.2022

Dr.-Ing. Andreas Noback vom Fachbereich Architektur der TU Darmstadt ist mit dem diesjährigen Kurt-Ruths-Preis ausgezeichnet worden. Der mit 12.000 Euro dotierte Preis wird Noback für seine Dissertation zur Simulation von Tageslicht in nicht mehr bestehenden oder veränderten historischen Gebäuden am Beispiel der spätantiken Hagia Sophia in Istanbul verliehen.

Der Preisträger Andreas Noback (3. v.l.) mit TU-Präsidentin Professorin Tanja Brühl, Andrea Ruths-Tilian und Julian Ruths von der Stifterfamilie Ruths.

Viele berühmte historische Bauten beeindrucken wegen ihrer Größe, Architektur und Materialzusammensetzung. Durch Licht wird dieses Zusammenspiel erst erfahrbar. Während digitale Rekonstruktionen von nicht mehr bestehenden Gebäuden schon länger Einzug in die Forschung gehalten haben, sind Simulationen von vergangenen Beleuchtungsszenarien noch wenig erforscht, unter anderem, weil sie aufwändig umzusetzen sind und interdisziplinäre Expertise erfordern.

Die Simulation von Tageslicht ist eine auf physikalischen, geometrischen, astronomischen und die Atmosphäre betreffenden Modellen basierende Methode zur Berechnung von natürlicher Beleuchtung. Sie wird normalerweise benutzt, um für neue Gebäude Daten zu ermitteln, mit denen sich beispielsweise die Energieeffizienz und die Arbeitsplatzergonomie verbessern lassen. Für historische Gebäude lassen sich in vergleichbarer Weise Daten erzeugen. Diese Daten können zur Rekonstruktion historischer Lichtkonzepte beitragen, indem sie verlorene Lichtphänomene überhaupt erst sichtbar machen. Grundlage für die Erzeugung der Daten ist jeweils ein Gebäudemodell.

Weiterentwicklung eines geometrischen Modells der spätantiken Hagia Sophia

In seiner Arbeit hat Andreas Noback kultur- und ingenieurwissenschaftlich Erkenntnisse der Bauforschung, der physikalischen Vermessung von Materialeigenschaften und Restaurierung mit der Wahrnehmungspsychologie und Kunstgeschichte verbunden. Dafür hat er zunächst ein vollständiges geometrisches Modell der Hagia Sophia in ihrer spätantiken Erscheinungsform aus dem 6. Jahrhundert weiterentwickelt – unter anderem durch Auswerten von archäologischen Befunden und historischen Textquellen. Besonderes Gewicht legte er dabei auf die Rekonstruktion, optische Vermessung und Modellierung der Materialien des Innenraums, wie etwa Marmor, Glasmosaik und Fensterglas, da die Modellierung der Materialeigenschaften das Simulationsergebnis wesentlich beeinflusst.

Eine besondere Herausforderung bestand dabei in der verlorenen spätantiken Fensterverglasung, die das einfallende Tageslicht filtert und damit entscheidenden Einfluss auf die Raumwirkung hat, deren genaue Eigenschaften aber weitgehend unbekannt sind. Noback konnte diese Lücke schließen, indem er Fragmente spätantiken römischen Fensterglases in Museumsbeständen ausfindig machte, diese in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern analysierte und die Daten in sein Modell integrierte.

Die Ergebnisse der Lichtsimulation der Hagia Sophia hat Noback in weit über 1.000 verschiedenen Varianten auf Tafeln zusammengestellt. Sie zeigen signifikante Unterschiede zur Beleuchtung des heutigen Baus und offenbaren ein komplexes Zusammenspiel direkter und diffuser Beleuchtung, dynamisiert durch wechselnde Sonnenstände und Wetterbedingungen. Die Ausrichtung des Gebäudes auf die aufgehende Sonne am Weihnachtsmorgen führt zu einem besonders eindrucksvollen Licht: Hauptraum und Seitenschiffe zeigen sich gleichmäßig beleuchtet, der Altarraum hell hervorgehoben.

Mit seiner Arbeit hat Andreas Noback eine neue und zukunftsweisende Methodik zur Rekonstruktion und Simulation von Beleuchtungsszenarien geschaffen, mit der sich historische Produktionsweisen, Materialeigenschaften und Umweltbedingungen mit kognitiven und sozialen Prozessen verknüpfen lassen und die bereits in weiteren Forschungsprojekten zur Anwendung kommt.

Galerie: Lichtsimulation der spätantiken Hagia Sophia

Der Preisträger

Schon während seines Studium der Architektur an der TU Darmstadt hat Andreas Noback die IT-Abteilung am Fachbereich Architektur betreut und parallel an Rekonstruktions- und Simulationsprojekten gearbeitet, wobei unter anderem auch ein Modell der Hagia Sophia und eine Simulationsumgebung entwickelt wurden. Zudem nutzte er einen Forschungsaufenthalt an der Hochschule Luzern, um Erfahrungen mit Tageslichtsimulationen und lichttechnischen Messungen zu sammeln.

Diese und weitere Erkenntnisse konnten in seine umfangreiche Forschungsarbeit einfließen, bei der er Fragestellungen und Methoden der Tageslichtsimulation moderner Gebäude in das Feld der historischen Bauforschung übertragen hat. Seit dem Abschluss seiner Promotion 2020 arbeitet Noback als Postdoc für das Projekt phos4d am Fachgebiet Klassische Archäologie des Fachbereichs Architektur der TU Darmstadt und für den Fachinformationsdienst BAUdigital an der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt.

Kurt-Ruths-Preis

Der seit 1989 jährlich verliehene Kurt-Ruths-Preis würdigt herausragende wissenschaftliche Leistungen aus den Fachbereichen Architektur, Bau- und Umweltingenieurwissenschaften sowie Chemie und wird an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der TU Darmstadt verliehen. Der Preis geht zurück auf Kurt Ruths, den langjährigen Sprecher der Geschäftsführung der Braas-Gruppe.

Kurt-Ruths-Preis 2021

Da im vergangenen Jahr die Preisverleihung pandemiebedingt ausfallen musste, werden im Rahmen der aktuellen Preisverleihung mit Dr.-Ing. Anna Wagner und Dr. Anne-Marie Zieschang auch die Preisträgerinnen des Jahres 2021 geehrt.