Leichter Planen – schneller Bauen

Gründerstory „Archiplan“

17.06.2024

Hoher Bürokratieaufwand belastet auch das Baugewerbe. Das Start-up Archiplan beschleunigt nun den Umgang mit bürokratischen Vorgaben: Ihre digitale Plattform vereinfacht die Planung von Bauvorhaben.

„Die unzähligen, häufig regionalen Vorschriften müssen sich die Bauplaner für jedes Projekt mühsam einzeln zusammensuchen“ – diese Erfahrung in der Genehmigungsplanung prägte Davy Karsenty nach seinem Architektur-Studium in Darmstadt. Daher entwickelte er vor gut einem Jahr die Idee, diese Aufgabe einem durch Künstliche Intelligenz (KI) gesteuerten Sprachsystem zu überlassen. Angeführt von ChatGPT eroberten diese Chatbots gerade das Internet. Schon wenige Monate später überzeugte Karsentys Ansatz die Jury von hessian.ai: Er gewann deren AI Startup Competition 2023.

Daraufhin sei der in die Gründerszene eingetaucht, erzählt der 29-Jährige. Er habe ein Entwicklerteam gesucht, „denn Software ist nicht mein Spezialgebiet“. Mit dem Sonderpreis für frühe Innovationen beim TU-Ideenwettbewerb 2023 von HIGHEST, der im Rahmen des Start-up & Innovation Day 2024 verliehen wurde, nahm die Idee Fahrt auf: Die Elektrotechniker und Datenwissenschaftler Joshua Fischer, Adrian Estevez und Thewind Mom brachten die nötigen Kenntnisse mit; der Wirtschaftsinformatiker André Baumgart Teil ergänzte das Team.

„Damit sind wir durchgestartet“, so Karsenty. Sie wurden von hessian.ai für den Hessenideenwettbewerb nominiert und erreichten das Finale, und sowohl Investoren als auch die Öffentlichkeit zeigen großes Interesse. Die Planer können sozusagen mit den Dokumenten sprechen.

Planungsrechtliche Grundlagen in Minuten statt Tagen

An einem Beispiel demonstrieren Fischer und Karsenty ihre Planungs-Software mit Hilfe des Chatbots: Er fragt etwa den geplanten Gebäudetypus, die Nutzungsart sowie Adresse ab und stellt die dafür in Frage kommenden Vorschriften von Bundesland und Gemeinde zusammen. „Für diese Auswahl braucht man normalerweise einige Tage“, weiß Karsenty aus eigener Erfahrung – das System von Archiplan benötigt dafür etwa zehn Minuten. Die Software liefert einen digitalen Katalog mit den planungsrechtlichen Anforderungen für ein Projekt. Fragen an den Chatbot können die Planung weiter einkreisen oder ausweiten. So antwortet der Bot etwa auf die Frage nach Fluchtwegen an Schulen in Hessen mit vier wesentlichen Anforderungen. Oder er sucht einzelne Paragrafen zu den Abstandsanforderungen zum Nachbargrundstück zusammen. Alle Angaben sind zudem immer mit den Quelltexten verlinkt.

„Die Planer können sozusagen mit den Dokumenten sprechen“, erklärt Fischer. Die Anwendung suche die für die Frage relevanten Texte heraus. Wahrscheinlichkeiten dienen dabei als Entscheidungsgrundlage und lassen sich mit zunehmenden Datenmengen immer besser trainieren. Das System von Archiplan sei sehr anwendungsorientiert und stoße bei Architektenbüros auf großes Interesse.

Bauplanung mit Sprach-KI

Seine Zielgruppe hat das Team von Archiplan genau analysiert: 74.000 Planungsunternehmen von der freiberuflichen Architektin bis zum Großunternehmen erwirken jährlich 240.000 Baugenehmigungen in Deutschland – vom Einfamilienhaus über das Krankenhaus bis zum Einkaufszentrum. Alle Planungsschritte von der Idee bis zum Beginn der Auftragsvergabe kann Archiplan begleiten. Auch die 851 bundesweiten Baubehörden könnten von der Sprach-KI-gesteuerten Plattform profitieren.

Es handele sich um eine geräteunabhängige und bedienerfreundliche Software, erklärt Fischer. Sie enthalte eine eigens trainierte und ständig verbesserte Sprach-KI sowie alle notwendigen und ständig aktualisierten Rechtstexte. Das funktioniere vor allem auch Behörden-übergreifend, beinhalte also etwa auch Arbeitsstättenrichtlinien oder die gemeindespezifischen Stellplatzsatzungen. Alle Daten bleiben bei den Nutzer:innen und sind nur über deutsche Server zugänglich.

”2025 wollen wir das System skalieren, also deutschlandweit anbieten, und hoffen auf erste Umsätze„

Prototyp und großer Partner

Derzeit entwickelt das Team von Archiplan einen Prototyp, den sie in Zusammenarbeit mit acht Planungsunternehmen für die Anwendung wollen. Vor einer Weile kam das Generalplanungsunternehmen Julius Berger auf das Start-up zu – „eine Bestätigung, dass wir an einer spannenden Sache dran sind“, freut sich Karsenty. Mit dem großen Ingenieurbüro planen sie gerade eine strategische Partnerschaft. Julius Berger International sei der ideale Partner, weil die Firma schon sehr weit in die digitale Planung bis hin zu 3D-Darstellungen vorgedrungen sei.

Noch finanziert sich das Start-up-Team aus eigenen Quellen: Karsenty hat eine Stelle als Projektmanager in einer Graduiertenschule zu KI, die drei Elektrotechniker promovieren derzeit, und Baumgart habilitiert sich aktuell über KI-Systeme an der Universität Heidelberg. Die Softwaretechnik und das Design entwickeln sie überwiegend im Homeoffice – ganz digital. Derzeit steht die Zusammenarbeit mit den Planungspartnern in Hessen in den Startlöchern. Aber Ende dieses Jahres will sich das Team von Archiplan mit Funding und Partnern in die Gründung stürzen. „2025 wollen wir das System skalieren, also deutschlandweit anbieten, und hoffen auf erste Umsätze“, so Karsenty. Grundsätzlich sei Archiplan auch international nutzbar, sobald die entsprechenden Daten eingepflegt sind.

Konkurrenz gibt es laut Karsenty und Fischer kaum: Programme wie ChatGPT seien nicht spezialisiert und daher fehlerbehaftet, auch nie ganz aktuell. Zudem sind die Server nicht in Deutschland mit seinen entsprechend hohen Sicherheitsstandards angesiedelt. Da die Digitalisierung in der Baubranche noch gering sei, halten sie das Potenzial für hoch, dass das einfach nutzbare und die Planungsarbeit beschleunigende System sich schnell durchsetzt.

”Ich habe eine Weile mit mir gerungen – Geld oder Wissenschaft?“

Start-up: In See stechen statt im sicheren Hafen liegen

Für ihr Engagement haben sich die beiden sehr gezielt entschieden: Fischer hatte letztes Jahr diverse attraktive Stellenangebote aus der Industrie. „Ich habe eine Weile mit mir gerungen – Geld oder Wissenschaft? – aber es reizte mich, nochmal was Neues auszuprobieren“. Das Entwickeln der App habe ihm viel Spaß gemacht, und das gelte jeden Tag wieder. „Man arbeitet an sich selbst“, sagt er. Auch Karsenty betont die Freiheit, eigene Ideen zu gestalten. „Mit dem Bild vom `sicheren Hafen´ kann ich nichts anfangen – ich möchte lieber in See stechen!“, unterstreicht er mit großer Ernsthaftigkeit.

Obwohl sie erst seit einem Jahr an ihrer Idee arbeiten, haben die beiden Neugründer bereits Erfahrungen gesammelt, die sie gerne weitergeben: „Einfach durchstarten. Mit Leuten sprechen. Ausprobieren. Nicht zu Hause brüten. Zuhören. Flexibel bleiben.“, zählt Karsenty auf. Fischer ergänzt, es sei wichtig, immer gut vorbereitet in Gespräche zu gehen; strategische Planung sei Karsentys Stärke. „Den Firmen auf Augenhöhe begegnen“ habe er gelernt; es sei toll, kundenspezifisch und mit deren Feedback zu arbeiten.

In seiner Präsentation stellt das Team einen genau ausgearbeiteten Plan dar, welche Schritte sie zu welchem Zeitpunkt anpeilen. Die Gründung ist für das erste Quartal 2025 vorgesehen und kurz darauf die Beta-Version ihres Bauplanungs-Tools. Planung liegt dem Team von Archiplan eindeutig im Blut – über den Architekturbereich hinaus. Ihre Idee verspricht die Bauplanung deutlich zu vereinfachen. Das spart Arbeitszeit und Kosten und eröffnet zudem Freiräume für die architektonische Gestaltung, mit dem sicheren Gewissen, rechtskonform zu planen. Damit könnte Archiplan zu einem Baustein werden, um die rückgängige Bautätigkeit in Deutschland zu beschleunigen, vergünstigen und wiederzubeleben.