Herausgegeben vom Fachgebiet Entwerfen und Nachhaltiges Bauen
(Prof. Christoph Kuhn)
Der Klimawandel als Folge hochkomplexer globaler Zusammenhänge ist auf nationaler Ebene nicht zu kontrollieren. Das weltweite klima- und damit umweltschädliche Handeln mit seinen dramatischen Auswirkungen auf alle Lebewesen kann nur auf internationaler Ebene beurteilt und bewertet werden und nur durch eine internationale Gerichtsbarkeit sanktioniert werden.
Vor diesem Hintergrund besteht schon lange die Forderung nach einem weltweit anerkannten Umweltgerichtshof, der diese Rolle mit entsprechender Strahl- und Durchsetzungskraft übernimmt. Diese Wirkung entwickeln staatliche wie internationale Institutionen neben ihrem konkret inhaltlichen Handeln auch über ihren Standort und das Gebäude also die Architektur, in der sie agieren. Auch heute noch werden wichtige Gerichtsgebäude als Justizpalast bezeichnet. Diese Benennung verdeutlich die der Justiz zugemessene Bedeutung als kontrollierendes und ausgleichendes Gegenüber zur exekutierenden Regierung, die sich auch in der gebauten Präsenz der Architektur ausdrücken soll.
Die unleugbaren Auswirkungen des Klimawandels und die mittlerweile anerkannte Erkenntnis, das sie Resultat menschlichen (Miss)Handelns sind, führen zur Frage: Wer trägt Schuld? Wer ist Täter, wer ist Opfer? Wie sind Strafen zu bemessen, wie gelingt ein Ausgleich? Diese Fragen werden in einem internationalen Gerichtshof verhandelt.
Dieser Verhandlung soll das Gebäude Rahmen und Bühne sein. Aus den besonderen Herausforderungen, gleichzeitig Schutz und Sicherheit für Anklagende, Angeklagte und Richtende, aber auch großmögliche Offenheit und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit zu bieten, erwächst die spezifische Typologie des Justizgebäudes. Der Umweltgerichtshof ist ein Haus, das diese heterogenen Nutzungsbedingungen funktional aber auch in ihrer räumlichen Lesbarkeit für die dort tätigen Akteure, die Betroffenen aber auch für interessierte Beobachter*innen in Einklang bringen muss.
Der Ort liegt am heute unattraktiven südwestlichen Ende Venedigs im Gebiet der Kreuzfahrtterminals. Zum Schutz der Lagune und der Stadt ist den größten Schiffen die Zufahrt seit diesem Sommer endlich verwehrt, ein neues Terminal soll außerhalb der Lagune entstehen. Ein großes Potenzial eröffnet sich, diese Flächen anders, vor allem nicht touristisch, zu nutzen und sie der Stadtbevölkerung wieder zugänglich zu machen. Gegenüber auf dem Festland liegt in Sichtweite der Industriehafen von Marghera. Gleichsam als permanente Drohkulisse im direkten Gegenüber zum gefährdeten fragilen (geschützten?) kulturellen Welterbe mahnt die Szenerie zum zwingenden Handeln. Dieser herausgehobene Standort bietet durch seine weite Sichtbarkeit für den Gerichtshof die Möglichkeit, die wichtige symbolische Wirkung in die Welt zu entfalten und den Auftakt für eine soziale Stadtentwicklung in Fortsetzung der angrenzenden Wohnbebauung und Universität zu bilden. Der Anbindung in die benachbarten Quartiere, der Gestaltung der Freiräume und der Uferkante wird dabei eine wesentliche Rolle zu kommen.
Vor dem Hintergrund des immensen und vielfältigen architektonischen Reichtums Venedigs entwerfen Sie eine eigenständige bauliche Antwort, die selbstverständlich umfassenden nachhaltigen Ansprüchen genügen muss. Eine global lesbare Architektur im Gleichgewicht mit dem lokalen Kontext der historischen Stadt und dem ökologischen Naturraum der Lagune.