Universität der Zukunft – Städtebauliche Entwicklung des Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz für ein postpandemisches Studium
Masterthesis Winter 2021/22

Hrsg. vom Fachgebiet Entwerfen und Stadtplanung (Prof. Dr. Martin Knöll)

Mit dem Wintersemester 2021/22 bereiten wir uns auf das vierte Digitalsemester nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie in 2020 vor. Eine Rückkehr zum Normalbetrieb wird es nicht geben. Nach der Einschätzung vieler Experten steht die Universität an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter.

Wie stellen sich Absolvierende des Fachbereich Architektur das Studieren und das Uni-Leben nach der Pandemie vor? Welche Impulse gehen von der Architektur und Stadtplanung für zukunftssichere, attraktive und lebendige Universitätsstandorte aus? In dieser Master-Thesis werden städtebauliche Konzepte Lösungsansätze für diese Fragen gesucht.

In Deutschland besteht Entwicklungsbedarf des großen Bestandes von Universitäts-Standorten aus den 1960er und 1970er Jahren, die oft in städtischen Randlagen „auf der grünen Wiese“ geplant wurden. Wie in Mainz sind es oft ähnliche Herausforderungen: Wie gelingt die städtebauliche Anbindung an die Stadt? Wie lassen sich die monofunktionalen Strukturen aufbrechen? Wie stellt man Aufenthalts- und Lebensqualität auf dem Campus her, um im Wettbewerb um die besten Köpfe zu bestehen?

Die ersten Semester der Covid-19-Pandemie haben gezeigt, dass die digitale Lehre schnell und mittlerweile routiniert angelaufen ist, gerade unter dem Fokus auf Wissensvermittlung. Es besteht bisweilen die Gefahr der Lehre als Einbahnstraße, mit Mangel an Beteiligung und kreativem Austausch. Neue Lern- und Arbeitsformen wurden verstärkt eingesetzt, wie das remote working / home office. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Wohnortwahl der Studierenden: 20 Prozent sind während der ersten Semester wieder zurück zu den Eltern gezogen. Es gilt für alle eine neue Work Life Balance zu finden. Erhebliche Belastungen und das Aufbrechen der gewohnten Muster haben Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Nach aktuellen Zahlen der Techniker Krankenkasse (TKK) sind 20 % der Studierenden mit einer Depression diagnostiziert.

In Konsequenz sehen ein wir die Notwendigkeit zu einem stärkeren Engagement der Universitäten im Gesundheitsmanagement und in der Schaffung von Aufenthaltsqualität und Lebensqualität auf dem Campus, sowie einen höheren Bedarf für temporäres Wohnen auf dem Campus. Gleichzeitig sehen wir einen niedrigeren Bedarf an Büro- und Arbeitsplätzen analog zur Diskussion, die derzeit in großen Firmen geführt wird. Abschließend die Frage, welche Nutzungen zukunftsorientiert sind und auf einem Campus Platz finden können?

Die langsame Rückkehr zum Hybrid-Unterricht unter veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, nehmen wir zum Anlass das Thema Campus-Entwicklung jetzt aufzugreifen. Gesucht werden städtebauliche Zielbilder und Prozesse für eine Entwicklung des Voll-Campus mit 133ha Fläche und derzeit 33.000 Studierenden hin zu einem gemischten und lebendigen Stadt-Quartier mit Schwerpunkt Hochschule und Forschung.

Das „Zukunftslabor“ ist eine städtebauliche Entwicklung des Universitätscampus der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (JGU) für ein postpandemisches Studium. Unsere Vision für den derzeit monofunktionalen Universitätscampus ist ein zukunftsfähiges, nachhaltiges, urbanes Gebiet mit dem Schwerpunkt Universität.

Die primäre Maßnahme ist das Ausbilden einer neuen dichten Mitte, an der Wohnen, Leben und Arbeiten zusammenkommen. Von dieser Mitte ausgehend wird ein hoher Grad an Nachverdichtung durch Anbau, Aufstockung und Neubau auf dem Campus-Areal umgesetzt. Dem neuen städtischen Quartier liegen die Prinzipien der „Produktiven Stadt“, der „Schwammstadt“ und der „Multimodalen Mobilität“ zugrunde.

Historische Entwicklung:

Die Universität bezog nach dem Zweiten Weltkrieg eine Flakkaserne, die noch das Erscheinungsbild am östlichen Eingang prägt. Bis in die 1970er Jahre kamen die charakteristischen Gebäude des heutigen Campus dazu. In der vernachlässigten Mitte zwischen den östlichen Beständen der 1970er und der westlichen Unilandschaft der 1980er Jahre werden wir mit der Neuen Mitte ansetzen.

Schwammstadt:

Ein übergeordnetes blau-grünes Infrastruktur-Netz, aus Erholungsflächen, Retentionsmulden und entsiegelten Verkehrsflächen, verbindet qualitative Grünräume. Freiräume wie das Wäldchen, der von Studierenden geplante Essbare Garten, der Botanische Garten und der Skulpturenpark werden im Zuge der Überarbeitung in ihren Qualitäten geschärft. Sie bilden zusammen mit dem neuen Musikgarten und dem Laborplatz die Orientierungspunkte im Quartier.

Trotz des hohen Grads an Nachverdichtung können viele Flächen entsiegelt werden. Die Flächen werden durch den Wegfall des motorisierten Individualverkehrs wie Parkplatzflächen und breite Fahrspuren gewonnen. Ziel ist es, das gesamte anfallende Regenwasser auf dem Gelände des Universitätscampus zu halten. Hierzu dienen Retentionsflächen, die mit einer Zisternenanlage gekoppelt werden.

Mobilität:

Der zentrale Laborplatz ist besonders gut über den MobilitätsHub Nord zu erreichen, der die bestehende Straßenbahnstation Friedrich-von-Pfeiffer-Weg ergänzt. Hier kommen neue Fahrradinfrastrukturen mit Lastenrad-, Rad-, Scooter – Sharing Angeboten, die regulären Mainzer Busse, sowie der neu eingesetzte autonome Campusbus EMMA zusammen. Emma verbindet M-Nord mit dem bestehenden M-Hub Ost Universität und den im Süden gelegenen Umstiegspunkt für motorisierten Individualverkehr. Die Parkplatzflächen sind flächendeckend mit E-Ladestationen ausgestattet. Das gesamte Campus-Gelände ist MiV befreit und zugangsbeschränkt.

Das Labor

Der zentral gelegene Quartiersplatz „Labor“ bietet viel Platz für Veranstaltungen aber auch für die tägliche Mittagspause auf dem Campusareal. Der Platz dient außerdem als Schaufenster der Universität. Hier stellen Fakultäten ihre Neuheiten auf den verschiedenen themenspezifischen Ausstellungsfeldern (Kunst, Kultur, Sport, NaWi) aus.

Für Nutzende lassen sich 'auf dem Laborplatz' außerdem die Jahreszeiten anhand von essbarer Bepflanzung, wie Beerensträucher und Obstbäume sowie gestalteter Grünfläche ablesen. Eine wassersensitive Gestaltung sammelt das oberflächliche Regenwasser und füllt die Retentionsmulden. Im Falle eines Starkregens fluten ebenfalls die Sportfläche, sowie einige der Außenlernplätze und geben das Wasser langsam an die Retentionsflächen weiter.

Postpandemisches Studium:

Die universitäre Lehre entwickelt sich vom Format des Lehrens hin zum individuellen Lernen. Die Universität stellt für diesen individuellen Kompetenzerwerb der Studierenden die Lern- und Austauschplattform bereit. Diese Anforderung verlangt weniger nach einem neuen Audimax Hörsaal, sondern nach diversen Lernlandschaften mit flexiblen Räumen unterschiedlichster Größen und Formen.

Ziel der Universität muss es sein, durch gut funktionierende Schnittstellen die Präsenzlehre mit der vermehrten Digitallehre zu verknüpfen.

Der Universitätscampus dient dazu, die sozialen Interaktionen unter den Studierenden und Lehrenden zu fördern. Neben attraktiven Lernflächen im Außenraum wird der Campus um das Wohnzimmer ergänzt.

Das Wohnzimmer ist als dritter Ort zu verstehen und bietet eine große offene Lernlandschaft mit Begegnungsflächen für Studierende aber auch für die Bewohnende des Quartiers.

Die neuen universitären Gebäude werden hybrid genutzt. Nach den Prinzipien der „Produktiven Stadt“ befinden sich jeweils in den obersten Etagen der neuen Universitätsgebäude verschiedene Wohnformen von temporären studentischen Wohnen bis hin zu Gemeinschaftswohnen mit Dachterrassen.

Es gilt das Wissen der Universität mit den gewerblichen Erdgeschossen und dem Wohnen zu einer produktiven, nachhaltigen Stadt zu verbinden, von dessen Angebot auch die umliegenden Wohnbezirke in Mainz profitieren.

Produktive Stadt:

Auf städtebaulicher Ebene bedeutet die Veränderung der universitären Lehre und der Pandemie das Ende des monofunktionalen Campus.

In unserem Zukunftslabor plädieren wir daher für ein nutzungsdurchmischtes, hoch produktives Stadtquartier. Eine diverse Bewohnerschaft belebt die Freiräume. Wenige Ortswechsel zwischen Arbeiten, Leben und Freizeit vereinfachen den Alltag.

Grüne Freiflächen auf den Boden und auf den Dachgärten bieten Platz für lokale Nahrungsmittelproduktion. Durch das Ansiedeln einer kritischen Masse an Bewohner*innen rentieren sich viele Nutzungen im Sinne eines Urbanen Gebietes (§6a BauNVO). Die Erdgeschosse der Wohnquartiere sind entweder mit Gemeinschaftsflächen der Bewohnenden oder mit gewerblichen Nutzungen wie einem kooperativen Supermarkt, Schreinerei, Backstube mit Verkauf und Manufakturen ausgestattet. Am Laborplatz wird ein verlassenes 60er Jahre Gebäude reaktiviert und in eine studentische Kaffeebar mit CoWorking Flächen in den oberen Geschossen transformiert. Auch das Schnellbau II Gebäude östlich des NatFaks wird umgenutzt. Die tiefen Grundrisse im Erdgeschoss bieten Platz für eine Schlosserei und eine große Gemeinschaftsfläche für die neuen Bewohner/innen darüber.

Durch den neuen Verwaltungsturm am Nordhub, der die gesamte Universitätsverwaltung in einem Gebäude vereint, kann das historische Kasernengebäude in ein studierenden Wohnheim umstrukturiert werden.

Mit (barrierefreien) klassischen 2-6 Zimmer-Wohnungen, generationenübergreifenden Wohn- und Lebensprojekten, Clusterwohnen, temporären Wohnformen sowie gefördertem Wohnungsbau soll eine diverse Bewohnerschaft erreicht werden.

Da sich das neue Quartier auf Flächen des Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung Rheinland-Pfalz (LBB) befindet, sehen wir diesen auch in der Verwaltungshohheit. Der LBB soll die Koordination der Vergabe leiten und überwachen. Mittels des Erbbaurechts können die Wohnquartiere über Konzept -& Direktvergabe an verschiedene Investoren vergeben werden. Bevorzugt sind hier genossenschaftliche Modelle sowie stiftungsgeförderte Modelle zu wählen. Die Universität wird weiterhin die Bauaufgabe der universitären Gebäude leiten. In enger Zusammenarbeit mit der Universität wird das Studierenwerk jegliche Wohnnutzungen in universitären Gebäuden wie bei den hybriden Neubauten übernehmen. Es muss jedoch über studentisches Wohnen hinaus aktiv werden. Nach den Zielen des Koalitionsvertrags 2021 sollen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften verstärkt sozialen Wohnungsbau fördern und auch selbst Umsetzen. Mit den neuen Steuergeldern durch Biontech soll auch die Stadt Mainz sich auf dem Campusgelände mit mietpreisgebundenen Wohnen einbringen.

Studierende, Mitarbeitende wie auch die zukünftige Bewohnerschaft werden von den neuen Angeboten einer produktiven, nachhaltigen Stadt der kurzen Wege profitieren.

Ausgezeichnet mit einem WA-Förderpreis

Connect & Interact

Kompetenzentwicklung für eine gemeinsame Zukunft

Die Frage nach der „Universität der Zukunft“ im Jahr 2022 beinhaltet nicht nur die Frage nach einer Lernumgebung im Sinne der Digitalisierung, sondern mit dem Anspruch, ein Teil der Stadt zu sein und und damit untrennbar verwoben mit der hier lebenden Gesellschaft ebenso die Frage „Wie wollen wir leben?“.

Ausgehend von der Annahme, dass in der weiterführenden Bildung in Zukunft besonders die Kompetenzvermittlung im Fokus stehen wird und der demokratische Diskurs zugleich eine Wertebasis unserer Gesellschaft bildet sowie auch für deren Fortbestehen in dieser Art existenziell ist, wurde der Campus mit Blick auf eben jene Kompetenzen weiterentwickelt.

Somit wurden Orte für den Austausch, den Diskurs und das Lernen erweitert und neu geschaffen und wie ein Netz über den Campus gelegt. Charakterstiftend gestaltet, sprechen die flexiblen architektonischen Elemente eine sich einfügende aber doch eigenständige Sprache. Sie werden interdisziplinaritätsfördernd belegt, wobei nicht nur akademische Institutionen und Netzwerke bedacht werden, sondern alle Teile der Gesellschaft und insbesondere auch Menschen aus der angrenzenden Umgebung angesprochen werden.

Das Rückgrat des Netzwerkes von Plätzen bildet die Hauptachse, an welche die Hauptplätze angrenzen. Diese bestehen aus dem Eingangsbereich, der als Bühne zur Innenstadt ausgebaut wird und auf welchem durch die Ausstellung und Darbietung von Kunst und Kultur eine gemeinsame Grundlage geschaffen wird. Entsprechende Einrichtungen ziehen ein breites Publikum an. Von hier ausgehend gelangt man an den „Platz der Demokratie“, an welchem der Diskurs als solcher im Fokus steht. Dieser wird bereichert durch das angrenzende „Haus für zivilgesellschaftliches Engagement“, die neue Bibliothek sowie das Verlagshaus und das Journalistische Seminar. Das derzeitige Mensagebäude wird zum Teil zu einem Tagungshaus umgebaut, um Raum für Kompetenzaustausch zu bieten. Im Westen des Campus wird ein Platz entstehen, auf welchem der Transfer des Erkenntnisgewinns in die Gesellschaft im Fokus steht.

Um diese Hauptplätze herum spannt sich ein Netz an Quartiersplätzen, welche durch gezielte Durchmischung der Disziplinen bestimmte Fragestellungen der heutigen Zeit als Themenvorschläge bieten. Als Austauschorte zwischen den Disziplinen, außeruniversitären Netzwerken und Angeboten für Nicht-Universitätsmitglieder dienen insbesondere die gestalteten Plätze, die daran angrenzenden Cafés und die Aktivitätsstätten.

Als Modellquartier strukturiert der Entwurf die lokalen Bedürfnisse nach nachhaltiger Mobilität, sowie der Balance zwischen qualitativen Freiräumen und Nachverdichtung neu und verknüpft diese zu einem interaktiven Netzwerk. JGU -neu vernetzt- optimiert den bestehenden Campus auf drei Ebenen: Anbinden, Verbinden und Einbinden und ergänzt Ihn durch ein neues Zentrum in dem der Student und die Lehre/ Forschung gleichermaßen im Fokus stehen.

Die neue Mitte formt sich durch einen geöffneten Gebäudekomplex der von den drei Entwurfsparametern, grüner Stadtraum, Mobilität sowie dem Wechselspiel aus analoger und digitaler Interaktion durchflossen wird.

Die starke Reduzierung des MIV im Kerngebiet ermöglicht die Etablierung eines effizienten Wegenetzes, das in den Schnittstellen zu Bebauung und Freiraum, Orte des Austauschs und der Kommunikation ermöglicht.

Geführt von einer digitalen Anwendung –die AVE-APP–, sowie einem analogen Leitsystem, wird der Nutzer durch den Campus geleitet. Pavillons für Forschungseinblicke in Form von Activity-Hubs, folgen den Wünschen nach flexiblen Lernräumen und der Förderung von Austausch und Interaktion und laden auch außerhalb des Universitätsbetriebs zum Aufenthalt ein. Die leichte Pavillonschirme stehen in Bestandsgrünflächen sowie neue Freiräume und verfügen über freies Mobiliar, das in Form von Sitz-Cubes, einen mobilen Stromspeicher für PCs und Co. besitzt.

Im Wechselspiel zu Grünflächen und kleineren Stadtplätzen bilden diese so zusammen mit dem neuen Wegenetz ein kommunikatives, interaktives und grünes Gerüst, in das sich die Gebäude einfügen.

Neben der momentan überwiegend forschungsorientierten Gebäudebelegung wird durch Ergänzung eines breiten Angebotes an Versorgern wie Supermarkt, Fahrradwerkstatt, Studierendenservice sowie Cafés und einer Rooftop-Bar das Quartiersangebot verbreitert und so zu einem lebenswerten Quartier geformt.