GRENZLAND
Masterthesis Sommersemester 2022

Herausgegeben vom Fachgebiet Entwerfen und Gebäudetypologie
(Prof. Dipl.-Ing. Elke Reichel)

Im Rahmen der Masterthesis GRENZLAND soll die ehemalige innerdeutsche Grenzübergangsstelle (GÜSt) und heutige Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn mit zusätzlichen Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen am Standort erweitert werden. Die GÜSt war die größte DDR- Grenzübergangsstelle an der innerdeutschen Grenze und der einzige Straßenzugang für die westlichen Alliierten in ihre Berliner Sektoren. Während der Zeit der deutschen Teilung passierten sie vor allem Reisende im Transit zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin.

Es gilt ein Gesamtkonzept für einen Ort der Erinnerung zu erarbeiten, der die Bestandsbauten als Zeitzeugen würdigt und angemessen mit neuen Bausteinen verknüpft. Die neuen Räumlichkeiten für die Gedenkstätte können in einem Neubau untergebracht, oder in Teilen auch in die bestehenden Gebäude integriert werden.

Der Grenzübergang repräsentiert eine Zeit der europaweiten Teilung und gleichwohl eine vermeintliche Grenzunterbrechung. Diese zeigt die Ambivalenz der Grenzüberschreitung, die hier für einige Personen möglich wurde und für andere unmöglich blieb. Die Gedenkstätte soll diversen BesucherInnen offen halten, welche Schwellen sie im Gedenken übertreten. Die Auseinandersetzung mit Schwellräumen, die an die Trivialität der Grenzüberschreitung erinnern, ist die Grundlage für den Entwurf. Entlang der früher streng bewachten Grenze zwischen den Ein- und Ausreisekontrollen bringen niederschwellige Berührungspunkte verschiedene Besuchergruppen zusammen und laden zum Gang über die ehemalige Abfertigungskontrolle ein. Um mit dem Gedenkort und den neuen Ausstellungsräumen ein Heraustreten aus dem Gebiet zu ermöglichen und gleichwohl nicht in Konkurrenz zu den weiten und markanten Bestandsstrukturen zu treten, wird die topografische Erhebung im Süden genutzt, um diese unauffällig im Untergeschoss zu platzieren. Vorbei am ehemaligen Check-Point und durch eine offene Halle, in der Veranstaltungen, Empfänge und Seminare stattfinden, bleibt die Wahl zur Überschreitung einer weiteren Schwelle über die untergründige Ausstellung. Die Erschließung erfolgt über ein zweites, der Halle gegenüberliegendes Gebäude, das dementgegen eher verschlossen auch als Rückzugsort dient. Eingestellte fest verbaute Zonenübergänge bilden eine Art Schwellenraum und kontrastieren die sonstigen freien Räume.

Der Eiserne Vorhang hat Europa Jahrzehnte in zwei Welten geteilt, erst nach Mauerfall wird aus dem Todesstreifen eine Lebenslinie, das Grüne Band, als ein Begegnungsort um Menschen zusammenzubringen um die Geschichte aufzuarbeiten. „Grün“ gilt seither als lebendiges Symbol für das Zusammenwachsen Europas. Der Entwurf der Gedenkstätte bedient sich der Idee, dass Natur die Kraft besitzt Grenzen zu überwinden. Das Entwurfsgebiet auf dem Gelände der ehemaligen Grenzübergangsstelle in Marienborn wird zu einer Erinnerungslandschaft, die Spuren der Geschichte sichtbar macht und anregt, sich mit den Themen Demokratie, Natur und der Deutschen Teilung auseinander zu setzen. Der „Garten der Erinnerung“, ergänzt in den Fußabdrücken der abgerissenen Bauten der PKW und LKW Ausreise das Ensemble als fehlender Baustein. Ein Ort wird geschaffen, an dem ein Blick nach vorne geworfen wird in der Oberwelt, sowie in der massiven Unterwelt der Blick zurück in die Vergangenheit. Die bewachsene, weiße Gitterstruktur nimmt die Kontur auf und verdeutlicht das „Zusammenwachsen“. Die Erschließung erfolgt über eine Rampe am Ort des ehemaligen Versorgungstunnels, welche hinab in das Denkmal führt. Dort finden Weiterbildungen und Veranstaltungen statt, sowie die Ausstellung und Rückzugsorte zwischen den begrünten Tiefhöfen am Ort der einstigen Baracken. Recyclingbeton in Kombination mit dem bewachsenen verbolzten Stahlgerüst sorgen für eine hohe Dauerhaftigkeit und mögliche Rückführung in den Kreislauf.

Die Gedenkstätte fügt sich als neuer Baustein in das unter Denkmalschutz stehende Ensemble ein. Die Gesamtanlage wird vervollständigt, indem die in den 1990er Jahren abgerissenen Kontrollbereiche der Ausreise als Volumen wieder erstellt werden. Auch die ehemaligen Fahrspuren der Grenzübergangsstelle werden in ihren Konturen nachgezeichnet. Auf diese Weise wird es möglich, die funktionalen Abläufe der ehemaligen Grenzübergangsstelle räumlich abzulesen und nachzuempfinden.

Der Neubau der Gedenkstätte zeichnet sich durch den Kontrast zum Bestand aus: die Schwere eines Massivbaus wird dem Leichtem, den aufgeständerten und prägnanten transluzenten Dächern der ehemaligen Kontrollbereiche, entgegengesetzt.

Das Gebäude wird über das Volumen der ehemaligen LKW-Ausreise erschlossen, in dem sich eine Ebene tiefer ein wilder Garten mit umlaufendem Wandelgang verbirgt. An diesen Innenhof gliedert sich das Foyer und weitere Funktionen an. Eine Wechselausstellung mit angrenzendem Innenhof für Großexponate ermöglicht eine Besucherbindung.

Über die Ausstellungsräume, die die vier Themenwelten der innerdeutschen Grenze mit räumlichen Installationen aufgreifen, wird der Besucher zum Bereich des denkmalgeschützten Gebäudebestands hingeleitet. Über das original erhaltene Kontrollhäuschen mit Passförderband betritt er die Mahnmale des geteilten Deutschlands.

Das neue Gebäude für die Gedenkstätte in Marienborn soll einen Raum für Austausch schaffen und mit flexiblen Veranstaltungsmöglichkeiten langfristig einen Mehrwert für den Ort bieten. Das Volumen stellt sich selbstbewusst und dennoch respektvoll in das bestehende Gebäudeensemble, schafft ein starkes Gegenüber zum Gebäude der ehem. LKW-Einreise und betont mit seiner klaren Zugänglichkeit die West-Ost-Bewegung des Grenzübergangs. Ein schmaler Ring, der zum Austausch anregen soll und Eventflächen anbietet, umschließt vier massive Türme aus Stahlbeton. Im Untergeschoss beherbergt er neben einem Verwaltungsteil einen Bereich für die musealen Abläufe. Von dort aus beginnt die Ausstellung, die sich unterirdisch gezielt dem Bewahren der Geschichte widmet. Eine Zwischenstation bildet ein überdachtes Häuschen, das sich dezent zu den vorhandenen Bauten gesellt und die Möglichkeit für einen Blick auf das Grenzgebiet eröffnet. Durch die gezielte Anordnung der Türme, in denen öffentliche Funktionen untergebracht sind, entstehen im unteren Geschoss eine zentrale Mitte, das Außenforum, sowie Zwischenräume, begrünte Höfe, denen verschiedene Themen zugeordnet sind. Das Gebäude bildet eine klare Gesamtfigur, die nach innen auf die Tiefhöfe ausgerichtet ist. Dennoch wird ein großzügiger Eingang in der Außenfassade geschaffen, der die Besucher auf direktem Wege nach unten leitet. Sträucher, Blumen, Gräser und die kühle Betonoberfläche der Sitzmöglichkeiten bestimmen die Atmosphäre der Höfe.

Die Mauer schafft eine Abgrenzung und eine Einrahmung des Vergangenen. Die architektonische Setzung unterstützt die Vergegenwärtigung des Vergangenen. Der Neubau hält sich im Hintergrund, schafft aber durch die Umschließung und die immer unterschiedlichen Blickachsen einen Bezug zum Ort. Die Räume sind nach innen gerichtet und konzentrieren sich auf die Aufklärung und das Erinnern. Der Besucher kann in der schützenden Mauer in die Thematik abtauchen und hat durch die unterschiedlichen Aufenthaltsorte, die aufbauende Wissensvermittlung und räumliche Atmosphäre, sowie die Lage, einen immer neuen geklärten Blick auf den Ort und die Geschichte. Es werden funktionelle relevante, abgerissene Gebäude als monumentale, abstrakte Volumen wieder aufgebaut. Dadurch wird die frühere Wegeführung sichtbar und neue Ruheorte und Aufenthaltsplätze geschaffen. Durch die Verlegung der Ausfahrt auf die ehemalige LKW- Einreisespur ist auch der Fahrtweg wieder nachvollziehbar und der denkmalgeschützte Komplex zusammengefasst. Am Rastrestaurant kann der Besucher den Weg der Vermittlung starten oder auch nur den gegenüberliegenden Ruheort besuchen. Alle Gebäude sind unabhängig des vorgegebenen Ablaufes von Bestandswegen zugänglich. Die Mauer wird von dem örtlichen Lehmaushub in Stampflehm erbaut und mit dem Abrissbruch in Gabionenkörbe statisch gehalten. Das natürliche Material bestärkt die Sensibilität und Sorgsamkeit mit der Geschichte.