Wilhelm Pinder

Wilhelm Pinder

(*1878 in Kassel – †1947 in Berlin) Lehrte an der TH Darmstadt von 1910 bis 1915

Werdegang

Georg Maximilian Wilhelm Pinder wuchs in Kassel auf. Seine Studienjahre begann er mit einem Jura-Studium in Göttingen. Anschließend studierte er Archäologie in Berlin und München und wechselte dann nach Leipzig, wo er ab 1900 Kunstgeschichte studierte. Ebendort promovierte er 1903 bei August Schmarsow. 1905 wurde er an der Universität Würzburg habilitiert, wo er noch bis 1910 als Privatdozent lehrte. Anschließend wurde er auf die ordentliche Professur für Kunstgeschichte in Darmstadt berufen. Pinder blieb nur wenige Jahre in Darmstadt und folgte dann seinem Darmstädter Amtsvorgänger Rudolf Kautzsch auf einen Lehrstuhl in Breslau. Spätere Stationen waren die Universitäten Leipzig (bis 1927), München (bis 1935) und schließlich Berlin.

Qualifikationsschriften

Pinder wurde 1903 an der Universität Leipzig mit der Arbeit „Einleitende Voruntersuchung zu einer Rhythmik romanischer Innenräume in der Normandie“ promoviert. Seine Habilitationsschrift zum gleichen Thema erschien 1905 unter dem Titel: „Zur Rhythmik romanischer Innenräume in der Normandie. Weitere Untersuchungen“.

Forschung

Bereits mit seinen Qualifikationsschriften zeichnete sich Pinders besonderes Interesse an Architekturthemen ab, das sich durch seine gesamte wissenschaftliche Karriere zog. Einen zweiten Schwerpunkt legte er auf die Plastik. Malerei und Grafik widmete er sich hingegen selten. Zeitlich und örtlich spannte sich Pinders Forschungshorizont vom europäischen Mittelalter bis in den Barock, wobei ein klarer Fokus auf explizit deutsche Themen erkennbar ist. Die Liste Pinders Publikationen ist lang. In seinen Darmstädter Jahren veröffentlichte er neben dem noch in Würzburg entstandenen Werk zur „Mittelalterlichen Plastik Würzburgs“ ein Werk über „Deutsche Dome des Mittelalters“ (1910), mit dem seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Verlag Langewiesche aus Königstein am Taunus und dessen Reihe der „Blauen Bücher“ begann (s. dazu die Dissertation von Britta Fritze). Drei weitere Bände dieser Reihe erschienen noch während der Darmstädter Jahre: 1912 das Überblickswerk „Deutscher Barock: Die großen Baumeister des 18. Jahrhunderts“, ein Band zu „Deutschen Burgen“ (1913) und einer zu „Bürgerbauten deutscher Vergangenheit“ (1914). Eine besonders breit rezipierte und auch kritisierte Schrift Pinders, die nach der Darmstädter Zeit entstand, ist „Das Problem der Generationen in der Kunstgeschichte Europas“. Darin entwirft er ein Generationenmodell zur Erklärung der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher künstlerischer Strömungen in einer Epoche.

Lehre an der TH Darmstadt

Pinder lehrte insgesamt zehn Semester an der TH Darmstadt. Er gab drei Veranstaltungen pro Semester, zwei Vorlesungen und eine Übung, die auch Exkursionen beinhaltete. In seiner Vorlesung „Allgemeine Kunstgeschichte“ widmete er sich Kunstepochen und/oder regionalen Kontexten, mit einem Schwerpunkt auf der Kunst der Renaissance. Dieser Epoche waren auch seine ersten beiden Vorlesungen in Darmstadt, „Kunstgeschichte der Renaissance diesseits der Alpen“ (WiSe 1910/11) und „Die Renaissance in Italien“ (SoSe 1911) gewidmet. Es folgten Vorlesung zur „Kunstgeschichte des Altertums“ (WiSe 1911/12) und zur „Kunstgeschichte des Mittelaters“ (SoSe 1912). Darauf begann er denselben Zyklus erneut mit der Renaissance. In seiner zweiten Vorlesungsreihe „Ausgewählte Kapitel aus der Kunstgeschichte“ lag der zeitliche Schwerpunkt ebenfalls in der Renaissance sowie dem Barock. Er befasste er sich unter anderem mit alten Meistern wie Rubens (WiSe 1910/11) oder Rembrandt (WiSe 1912/13), der Kunst im „Barock in Italien und Frankreich“ (WiSe 1911/12) oder auch der Kunstgeschichte Englands (SoSe 1912). Nur einmal machte er den Sprung zur „Modernen Kunst“ (SoSe 1914).

Bei den Übungen, die Pinder mit Exkursionen kombinierte, standen abwechselnd die „Entwicklungsgeschichte“ der Malerei oder der Plastik im Vordergrund. Ab 1912 bot Pinder auch „Baugeschichtliche Untersuchungen“ an, meist mit einem Schwerpunkt auf mittelalterlicher Architektur und – möglicherweise wegen des wärmeren Wetters – stets im Sommersemester. Unter den besuchten Orten und Museen waren Würzburg, Bruchsal und die Skulpturensammlung im Liebighaus in Frankfurt am Main. 2013 fand eine zweiwöchige Exkursion an die Donau zwischen Ulm und Wien.

„Professor Dr. Pinder unternahm mit Studierenden der Architektur-Abteilung eine Reihe von wissenschaftlichen Ausflügen, die im Winter 1911/12 nach Frankfurt am. M. zum Besuche der Skulpturengallerie führten, im Sommer 1912 zu baugeschichtlichen Untersuchungen nach Würzburg, Friedberg, Butzbach, Arnsburg, Münzenberg, Hanau, Gelnhausen, Büdingen, Lorsch, Worms, Oppenheim und Mainz.“ Grossherzogliche Technische Hochschule zu Darmstadt: Programm für das Studienjahr 1912/13, S. VII.

Professor Dr. Pinder hat – von kleineren Ausflügen abgesehen – vom 22. Juli – 9. August 1912 eine grössere Exkursion an die Donau geleitet, die zwischen Ulm und Wien eine Anzahl wichtiger Städte berührte. Im Wintersemester 1912/13 wurden die zumeist im Landesmuseum abgehaltenten Übungen zur malereigeschichte durch mehrere Ausflüge in die Frankfurter Gallerien ergänzt.“ Grossherzogliche Technische Hochschule zu Darmstadt: Programm für das Studienjahr 1913/14, S. VII-VIII.

Für das Studienjahr 1915/16 werden im Programm der Hochschule noch Veranstaltungen unter Pinders Leitung aufgeführt, doch dürfte er diese wegen seiner Einberufung zum Kriegsdienst und auch wegen seiner Berufung nach Breslau nicht mehr gehalten haben.

Rezeption/Wirkung

Pinder war Miterhausgeber der „Kritische Berichte zur Kunstgeschichtlichen Literatur“ (nicht zu verwechseln mit den heutigen „kritischen berichten“ des Ulmer Vereins), Vorsitzender des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft und Mitglied verschiedener Akademien. Im Personalverzeichnis für das Studienjahr 1915/17 steht hinter seinem Namen der für heutige Ohren kuriose Titel: „ordentlicher Professor der Kunstgeschichte. Ritter des Eisernen Kreuzes II. Klasse. Hessische Tapferkeitsmedaille.“ Die Professur in Darmstadt wurde für ihn zum Sprungbrett für eine steile Karriere.

Pinder wird in der Forschungsliteratur als charismatischer Redner charakterisiert, der es verstand, sein Publikum zu begeistern. Seine Fähigkeit, die Ergebnisse seiner Forschung für kunsthistorische Laien aufzubereiten, brachte ihm eine relative Bekanntheit über Fachkreise hinaus ein. Die Publikationsreihe der „Blauen Bücher“, als eine Reihe früher kunsthistorischer ‚Bestseller‘, spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Bereits die Titel der dort erschienenen Schriften Pinders aus den 1910er-Jahren („Deutsche Dome…“; „Deutscher Barock…“; „Deutsche Burgen…“; „Bürgerbauten deutscher Vergangenheit“) unterstreichen seine Konzentration auf eine ausdrücklich deutsche Kunstgeschichte und zeigen, dass er aktiv an den erstarkenden nationalistischen Tendenzen innerhalb der Disziplin in dieser Zeit beteiligt war.

Wie Magdalena Bushart schreibt, war Pinder ein glühender Nationalist und Anhänger der großdeutschen Reichsidee. Es überrascht insofern nicht, dass die Ideologie des Nationalsozialismus bei ihm auf fruchtbaren Boden fiel. Er ist mindestens als aktiver Mitläufer, wahrscheinlich eher Unterstützer einzustufen, obwohl er in Bezug auf hochschulpolitische Fragen auch in Konflikte mit dem Regime geriet. Fest steht, dass er während der Zeit des Nationalsozialismus als Professor in München und Leipzig den Höhepunkt seiner Karriere erlebte. Wie Heinz Rudolf Rosemann und Oskar Schürer stellte auch Pinder seine Arbeit als Kunsthistoriker durch Vortragsreisen in die annektierten Gebiete in den Dienst des Regimes. Nach 1945 wurde ihm der Lehrstuhl entzogen. Da er bereits 1947 verstarb, bleibt es im Bereich des Spekulativen, ob seine Versuche, in der Forschung wieder Fuß zu fassen, von Erfolg gekrönt gewesen wären. Unwahrscheinlich ist es nicht. Seine Bücher und Schriften erschienen, ohne historische Kontextualisierung, noch weit bis in die 1950er-Jahre in zahlreichen Neuauflagen.

Pinders Einfluss auf die Darmstädter Kunstgeschichte ist nicht allein auf die kurze Zeit seiner Darmstädter Professur begrenzt. Er stand beispielsweise auch nachdem er die Stadt verlassen hatte noch in Kontakt mit seinem ehemaligen Kollegen Paul Meissner. An seinem Lehrstuhl in München habilitierten sich sowohl Heinz Rudolf Rosemann (1930) als auch Hans Gerhard Evers (1932). 1939 promovierte er Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth, der später Assistent bei Oskar Schürer war. Noch während Pinders kurzen Zeit in Breslau promovierte er Erich Wiese, der später Direktor des Hessischen Landesmuseums Darmstadt werden sollte und der eine Honorarprofessor für Museumskunde an der TH Darmstadt erhielt.

(Lisa Beißwanger)

Publikationsliste Wilhelm Pinder, PDF (wird in neuem Tab geöffnet)

Lehrveranstaltungen im Fach Kunstgeschichte, Amtszeit Pinder 1910 – 1915 (wird in neuem Tab geöffnet)

Quellen:

Magdalena Bushart: Dienstreisen in Zeiten des Krieges. Wilhelm Pinder als Kulturbotschafter des Deutschen Reiches, in: Dies., Agnieszka Gasior, Alena Janatkova (Hg.), Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten 1939–1945, Wien: Böhlau 2016, S. 185–210.

Britta Fritze: Die Blauen Bücher. Eine nationale Architekturbiographie? Berlin: Lukas Verlag 2014.

Marlite Halbertsma: Wilhelm Pinder und die Deutsche Kunstgeschichte. Worms: Wernersche Verlagsgesellschaft 1992.

Richard Hamann: Nachruf auf Wilhelm Pinder. Berlin 1950, in: Jahrbuch der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1946–1949. S. 213–216.

Jutta Held: Kunstgeschichte im „Dritten Reich“: Wilhelm Pinder und Hans Jantzen an der Münchner Universität, in: Dies. (Hg.), Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, Göttingen 2003, S. 17–59.

Hans Jantzen: Wilhelm Pinder. Nekrolog. München 1948, in: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 1944–48. S. 178–179.

Christa Wolf; Marianne Viefhaus: Verzeichnis der Hochschullehrer der TH Darmstadt, Darmstadt 1977, S. 156.

Vorgänger: Rudolf Kautzsch / Nachfolger: Paul Hartmann