Ottilie Rady

Ottilie Rady, verheiratete Stoedtner-Thiemann

(*13.04.1890 in Darmstadt – †12.04.1987 in Dachau) Lehrte an der TH Darmstadt als außerordentliche Professorin von 1934 bis 1936

Werdegang

Ottilie Rady hatte sich 1915 nach einer Ausbildung im Bereich der Hauswirtschaft sowie unterschiedlichen sozialen Tätigkeiten dazu entschlossen, das Abitur nachzumachen. 1917 begann sie ihr Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und geschichtlichen Hilfswissenschaften zunächst ein Semester an der TH Darmstadt, dann in Bonn und beendete es 1922 bei Rudolf Kautzsch in Frankfurt am Main mit ihrer Promotion. Von 1922 bis 1937 war sie am Lehrstuhl für Kunstgeschichte als Assistentin bei Professor Paul Hartmann an der TH Darmstadt angestellt und v.a. mit der Betreuung der großen kunsthistorischen Lehrdiasammlung beschäftigt. Nach ihrer Habilitation im Jahre 1929 – sie war die erste habilitierte Kunsthistorikerin in Deutschland – beteiligte sie sich auch an der Lehre und wurde 1934 nach dem Ausscheiden von Paul Hartmann zur außerordentlichen und außerplanmäßigen Professorin ernannt. Nachdem die Nationalsozialisten 1936 ihre Assistentenstelle zum Ende des Wintersemesters 1936/37 kündigten, ließ sie sich beurlauben und ging nach Berlin. In Berlin arbeitete sie ab 1937 an dem „Institut für wissenschaftliche Projection“ von Dr. Franz Stoedtner (1870–1946) als freie Mitarbeiterin arbeitete. 1942 heiratete sie ihren damaligen Chef und kämpfte nach dessen Tod um den Erhalt seines Lebenswerks. 1946 übernahm sie die Leitung des Instituts und übersiedelte es 1948 nach Düsseldorf, wo sie die Geschäfte bis 1958 weiterführte. 1959 heiratete sie ihren Cousin, den Maler und Holzschneider Carl Thiemann (1881–1966), und siedelte nach Dachau über, wo sie bis zu ihrem Tod 1987 lebte und arbeitete.

Qualifikationsschriften

In der 1922 fertig gestellten Doktorarbeit „Das weltliche Kostüm von 1250–1410 nach Ausweis der figürlichen Grabsteine im mittelrheinischen Gebiet“ beschäftigte sich Rady kunsthistorisch eher mit einem Randthema, der mittelalterlichen Kostümkunde. In ihrer Habilitationsschrift setzte sich Ottilie Rady umfassend mit dem Werk des hessischen Bildhauers, Zeichners und Malers Johann Baptist Scholl d. J. (1818–1881) auseinander. Das erst 1965 publizierte und dabei leicht überarbeitete Buch ist bis heute die einzige umfassende Monographie zu diesem Künstler der Spätromantik, es ist mit einem ausführlichen Werkverzeichnis versehen.

Forschung der späteren Jahre

In Dachau hat sich Ottilie Rady mit dem Werk der Künstlerinnen und Künstler der Dachauer Künstlerkolonie auseinandergesetzt und hierzu neben diversen kurzen Artikeln in der Dachauer Heimatzeitschrift Amperland sowie 1981 das Buch „Dachauer Maler. Der Künstlerort Dachau von 1801–1946“ veröffentlicht.

Lehre an der TH Darmstadt

Seit dem Wintersemester 1929/30 hatte die Privatdozentin Rady in jedem Semester eine Vorlesung gehalten. Sie widmete eine ganze Reihe dieser Vorlesungen der deutschen, französischen und englischen Malerei und Plastik des 19. Jahrhunderts – eine Epoche, die der Lehrstuhlinhaber Paul Hartmann aus seinem Vorlesungsprogramm ausklammerte. Für das Wintersemester wählte sie zumeist das Thema „Berühmte Kunststätten“ und behandelte Orte, die sie zuvor auf Reisen studiert hatte, wie z.B. Florenz, Rom, Wien, London, Berlin oder Dresden. Ab 1935, vielleicht genötigt durch die politischen Umstände, bot sie auch eine Vorlesungsreihe zur „Kunst der engeren Heimat“ an.

Rezeption

Rady ist heute vor allem als erste habilitierte Kunsthistorikerin in Deutschland bekannt. Mit ihrer Berufung 1934 war sie die erste weibliche Professorin überhaupt an der TU Darmstadt, erst 1971 wurde die nächste Professorenstelle mit einer Frau besetzt. Ottilie Rady ist daher eine interessante Protagonistin der feministischen Wissenschaftsgeschichte. Auch die eher lokalen und abseitigen Forschungsthemen ihrer Dissertation und Habilitation sind im Genderzusammenhang interessant. Ottilie Rady war sich durchaus ihrer Sonderrolle als Frau an der Universität im Klaren und hat dies auch selbstbewusst in ihren Lebenserinnerungen thematisiert, zugleich stand sie sowohl privat wie beruflich immer im Schatten der Männer. Nichtsdestotrotz verstand sie es der jeweiligen Zeit und den Umständen entsprechend das Beste aus ihrer beruflichen Situation zu machen.

Ihr „Werk“ in Darmstadt – der Aufbau der Diasammlung des Lehrstuhls Kunstgeschichte ging im Zweiten Weltkrieg verloren. Indirekt hat sie durch die Leitung des Stoedtnerschen Lichtbildvertriebs nach dem Zweiten Weltkrieg und den Verkauf von Dias an die Nachfolgenden Professoren Schürer und Evers am Wiederaufbau der Darmstädter Sammlung mitgeholfen.

(Christiane Salge)

Bibliographie Ottile Rady (PDF zum Download) (wird in neuem Tab geöffnet)

Lehrveranstaltungen im Fach Kunstgeschichte, Amtszeit Rady 1936 – 1939 (wird in neuem Tab geöffnet)

Quellen

Archive: Nachlässe Ottilie Rady im: Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg; Museumsarchiv Dachau; Stadtarchiv Darmstadt.

Literatur:

Annegret Holtmann-Mares: Ottilie Rady (1890-1987) – Mit Willen und Beharrlichkeit zum Ziel In: Hoch3, Jahrgang 22, 2015. S. 18.

Klaus Kiermeier: Zum 100. Geburtstag von Frau Prof. Dr. Ottilie Thiemann-Stoedtner In: Amperland 26 (1990), S. 479.

Cordula Bischoff, Professorinnen der Kunstwissenschaft. Geschichte, Gegenwart und Zukunft, in: Frauen, Kunst, Wissenschaft 5/6 (Mai 1989), S. 9-19.

Freia Neuhäuser: Frau Prof. Dr. Ottilie Thiemann-Stoedtner zum 95. Geburtstag. In: Amperland 21 (1985), S. 71-73; Dies.: Zum 90. Geburtstag der ersten habilitierten Kunsthistorikerin Deutschlands, Frau Prof. Dr. Ottilie Thiemann-Stoedtner. In: Amperland 16 (1980), S. 32-36.

Elisabeth Boedeker und Maria Meyer-Plath, 50 Jahre Habilitation von Frauen in Deutschland. Eine Dokumentation über den Zeitraum von 1920-1970, Göttingen 1974, S. 118.

Vorgänger: Paul Hartmann / Nachfolger: Heinz Rudolf Rosemann