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Museums-Choreographie: Mehr als eine Metapher? Eine kunsthistorische Perspektive auf Choreographie als Kulturtechnik

Ausgehend von der Beobachtung, dass Choreographie und Tanz in Kunstmuseen heute omnipräsent sind, spricht Lisa Beißwanger in ihrem Beitrag von einer regelrechten „Museums-Choreographie“, mit der historisch ein geradezu zweiter „Tanz-Boom“ in Museen einhergeht. Anhand eines Fallbeispiels, der Geschichte des Walker Art Centre in Minneapolis, USA, zeigt sie, dass mit einer zunehmenden Erfahrungsorientierung in den bildenden Künsten auch Museen von der Architektur, über das Ausstellungsprogramm bis hin zum Besucher*innenservice immer ‚lebendiger‘ wurden. Mit der Einladung des Choreographen Merce Cunningham im Jahr 1972, der im Walker eines seiner Events zeigte, zeichnet Beißwanger die verschiedenen Facetten dieses Verlebendigungsprozesses nach, der zu einer neuen Sensibilität für die Gestaltung von Erfahrung geführt und damit zu einer Annäherung des Kuratorischen und des Choreographischen beigetragen hat. Tanz-im-Museum konkretisiert durch dessen Möglichkeiten und Zielsetzungen, das Museum performativ und erfahrungsorientiert zu gestalten, die kulturtechnische Dimension der in ihnen realisierten Choreographien.

Lisa Beißwanger: Museums-Choreographie: Mehr als eine Metapher? Eine kunsthistorische Perspektive auf Choreographie als Kulturtechnik, in: Huschka, Sabine; Siegmund, Gerald (Hrsg.): Choreographie als Kulturtechnik, Berlin: Neofelis 2022.

Choreographie als Kulturtechnik – Neue Perspektiven

Der Begriff der Choreographie erfährt zurzeit eine bemerkenswerte interdisziplinäre Ausweitung: Choreographie wird als qualitative Instanz für die Analyse verschiedenster kultureller, gesellschaftlicher und ästhetischer Praktiken und Lebensformen verwandt und erscheint im Licht einer Kulturtechnik. Dabei markiert Choreographie diejenige Instanz, die chaotische und unübersichtliche Bewegungsformen in den Fluss bringen, ordnen und regulieren kann. Choreographie erhält geradezu eine kulturstiftende Dimension, die sie als Kulturtechnik zu denken gibt.

Welches Potenzial birgt ein Verständnis von Choreographie als Kulturtechnik? Welche kulturprägenden Optionen liegen in der Kunst des Choreographischen und was bedeutet dies für den Begriff der Choreographie, der eng mit den Potenzialen des Körpers korreliert?

Vor diesem Hintergrund eröffnet der Band eine kritische Auseinandersetzung mit den Funktionen, Potenzialen, Zuschreibungen und Versprechungen von Choreographie. Aus kulturtheoretischer und -soziologischer, tanz-, theater-, medien- und kunstwissenschaftlicher Perspektive werden ästhetische und kulturelle Tragweiten von Choreographie diskutiert und im Kontext von Szenographien, Erinnerungstechniken, Ausstellungskonzeptionen, Museums-Events, autobiographischen Entwürfen, Gesellschaftsformationen, Aufführungsästhetiken und digitalen Tools untersucht.

Auf der Grundlage ihrer strukturellen Gefüge, die medial durch Notationen, scores und Handlungsanweisungen vermittelt sind, bringen Choreographien Formen und Gestalten hervor. Ihnen kommt dabei eine ästhetische und kulturelle Funktion der Ordnungsstiftung zu. Außerdem scheint ihre Kunst eine geradezu transformatorische Organisationskraft zu besitzen, die es versteht, mit energetischen Kräften zwischen Körpern, Räumen und Zeiten ‚gliedernd‘ zu wirken. Choreographie erscheint mitunter sogar als eine kulturprägende Instanz, die mit einer Gabe der Selbstorganisation fern subjektzentrierter Einflussnahme ausgestattet ist.

Choreographie als Kulturtechnik
Neue Perspektiven
Sabine Huschka / Gerald Siegmund (Hrsg.)
Dt. / Eng.
Erscheinungsdatum: 25.04.2022
ISBN (Print): 978-3-95808-343-1
ISBN (PDF): 978-3-95808-394-3