Der Fachbereich trauert um Wolfgang Liebenwein (1944–2021)

Ein Nachruf

14.01.2022

Wolfgang Liebenwein war Kunsthistoriker und langjähriger Professor unseres Fachbereichs Architektur an der TU Darmstadt. Er ist am 17. Dezember 2021 im Alter von 77 Jahren verstorben.

Wolfgang Liebenwein
Wolfgang Liebenwein

Wolfgang Liebenwein studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Geschichte und wurde 1974 an der Universität in Frankfurt mit einer Arbeit über das „Studiolo“ promoviert. 1980 habilitierte er sich ebenda mit einer unpublizierten Schrift über ein kunst- und sammlungstheoretisches Werk des 16. Jahrhunderts aus Deutschland. Im Anschluss war er Heisenberg-Stipendiat der DFG, bevor er von 1984 bis 1989 eine Kunstgeschichtsprofessur an der Universität in Bonn innehatte. Mit dem Wechsel an die TU Darmstadt im Jahre 1989 verließ er die klassisch geisteswissenschaftlichen Kunstgeschichtsinstitutionen und lehrte hier bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2009 und damit auf einem der ältesten Lehrstühle dieser Nomination an einer TU (gegründet 1869). Zwanzig Jahre lang hat er in Darmstadt Generationen von Studierenden für die Kunstgeschichte begeistert und vermittelt, wie wichtig das Verständnis und die Kenntnis des kulturellen Erbes für zukünftige Architektinnen und Architekten ist.

Er selbst hat seine Forschung auf drei Schwerpunkte eingegrenzt, die Architektur der Renaissance, die Memorial-Kunst und das Sammlungswesen. Am bekanntesten ist seine bis heute grundlegende Arbeit „Studiolo: Die Entstehung eines Raumtyps und seine Entwicklung bis um 1600“, die er 1977 veröffentlichte und danach noch mehrfach auf Italienisch erschienen ist (1988, 1992, 2005). Das „Studiolo“ war eine für den italienischen Humanismus typische Raumform eines scheinbar privaten Schreibzimmers, das doch zugleich das repräsentative Aushängeschild fürstlicher Bildungsambitionen war.

Blickt man auf Liebenweins eher knappe Publikationsliste, wird deren thematische Stringenz erkennbar: Im Mittelpunkt steht die Antikenrezeption als Kernproblem der italienischen Renaissance. Sein „Nabel der Welt“ war der römische Kapitolsplatz mit Blick auf das Kolosseum, umgeben von den Bauten Michelangelos und den neu kontextualisierten antiken Statuen wie dem reitenden Marc Aurel als Hintergrund. Das Lakonische war sein eigentliches Element, knapp und pointiert, aber originell, anregend und selbstverständlich rekurrierend auf einen tief wurzelnden Bildungshintergrund. Sein langjähriger Assistent, der Mitverfasser dieses Nachrufes, erinnert sich noch gut daran, wie sich 1996 beide über ein Zeichenblatt beugten, um aus einer nicht ganz eindeutig lesbaren Skizze Michelangelos dessen ersten, nicht realisierten Plan des Laurenziana-Ricettos zu reimaginieren. Auch aus diesem Grund war Liebenwein durchaus gerne an einer Architekturfakultät und Tür an Tür mit dem Archäologielehrstuhl.

Zugleich engagierte er sich auch für das regionale Kulturerbe: Erinnert sei an seine langjährige, intensive Beschäftigung mit den Sammlungen der fürstlichen Residenz Erbach im Odenwald als Leiter eines interdisziplinären Forschungsprojektes.

Zusammen mit seiner 2020 verstorbenen Frau Dr. Renate Liebenwein, die ebenfalls Kunsthistorikerin war, hat er sich für die Popularisierung der Wissenschaft eingesetzt, ein Bereich der heute mit dem Wort „Third Mission“ charakterisiert wird. In zahlreichen Beiträgen haben sie in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Rundfunk Sendungen zur Kunst in Hessen sowie einzelnen Künstlerpersönlichkeiten produziert.

Auch in seiner Lehrtätigkeit konzentrierte sich Wolfgang Liebenwein auf die Bildkünste vor allem der ihm naheliegenden Spezialgebiete der italienischen Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit und bot z.B. Vorlesungsreihen zu Brunelleschi oder Michelangelo an. Weitere Lieblingsfelder in der Lehre waren das Museum als Institution, das Sammeln und das Präsentieren von Kunst, sowie das Theater als Gebäude und Ort der Performanz, aber auch die christliche Ikonographie oder politischen Bildprogramme gehörten zum Kanon seiner Seminarthemen. Exkursionen führten Liebenwein gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Archäologen Prof. Dr. Heiner Knell, und Studierenden nach Rom (1991) und Sizilien (1996).

Als Hochschullehrer hat sich Wolfgang Liebenwein in außerordentlichem Maße mit dem Fachbereich Architektur identifiziert und dessen Weiterentwicklung auf allen Ebenen geprägt und mitgestaltet. So hat er in den Jahren 2003 bis 2005 das Amt als Dekan des Fachbereichs übernommen und sich engagiert für die Belange des Fachbereichs eingesetzt.

Auch außerhalb der TU Darmstadt war Wolfgang Liebenwein ein weithin geschätzter Wissenschaftler und kunsthistorischer Kollege. Als langjähriger Vorsitzender des Fachgutachter-Ausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Vorsitzender des wissenschaftlichen Kuratoriums des Kunsthistorischen Instituts in Florenz war er eine stille Autorität des Fachs. Hiervon zeugten die seinen Schreibtisch oft füllenden Manuskriptstapel, deren Bewertung durchaus nicht immer günstig ausfiel, und so mancher Antrag dürfte seinem Qualitätsbewusstsein die finale Ablehnung verdanken. Wessen Talent er dagegen erkannte, förderte er vorbehaltlos, verlässlich und eher aus dem Hintergrund.

Wolfgang Liebenwein war als Kollege, Lehrender und Wissenschaftler auch aufgrund seiner Kollegialität, seiner offenen, freundlichen und kommunikativen Persönlichkeit sowie seiner pointierten, verschmitzten und humorvollen Art hochgeschätzt.

Mit ihm haben wir einen beliebten und engagierten ehemaligen Hochschullehrer verloren, der viele Generationen von Studierenden geprägt hat. Wer immer zukünftig in das Studiolo, in die Herzkammer der italienischen Renaissancekultur eindringen wird, wird dort auf Wolfgang Liebenwein treffen.

Prof. Dr. Christiane Salge und PD. Dr. Meinrad v. Engelberg