Hans Ritter, genannt Döring, Schultheiß zu Wetzlar, moler HD

Frühneuzeitliche Malerei in Hessen zwischen Cranach und Dürer

Promotion

Hans Ritter, gen. Döring – ein Maler im Umfeld von Cranach und Dürer

Epigonentum ist dem Nachruhm wenig förderlich – folgerichtig wird der seit dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts bis zu seinem Tod in den frühen 1550er Jahren in Wetzlar ansässige Maler Hans Ritter, genannt Döring, in der kunsthistorischen Forschung zur deutschen Malerei des 16. Jahrhunderts bestenfalls als Fußnote im Zusammenhang mit dem Wirken der großen Protagonisten dieser Epoche wahrgenommen: In der Fachliteratur taucht sein Name höchstens dann auf, wenn namentlich bekannte und in erhaltenen Werken fassbare „Schüler“ beziehungsweise Werkstattmitarbeiter des kursächsischen Hofmalers Lucas Cranach des Älteren (1472–1553) aufzuzählen sind. Als Hauptbeleg dient dabei neben mehreren unverkennbar cranachschen Vorbildern folgenden und zum Teil sogar auf Zeichnungen des Wittenberger Hofmalers basierenden Porträts (Abb. 4) vor allem seine 1514 datierte und mit dem Monogramm „HD“ versehene „Lukrezia“ im Museum Wiesbaden, bei der es sich um eine nahezu wörtliche Kopie nach einem etwas früheren Gemälde Cranachs handelt (Abb. 1). Gleichzeitig zeigt sich Döring nicht nur motivisch, sondern auch in bestimmten maltechnischen Details mindestens ebenso stark von Albrecht Dürer (1471–1528), dem bedeutendsten und neben Cranach einflussreichsten deutschen Künstlers dieser Epoche, beeinflusst. Da er in mindestens einem Fall eindeutig auf eine Zeichnung Dürers zurückgreifen konnte (Abb. 6), muss er zu dessen Nürnberger Werkstatt und dem hier befindlichen Vorlagenmaterial wenigstens temporär direkten Zugang gehabt haben – womit er nicht nur als Cranach-, sondern zugleich auch als Dürer-„Schüler“ beziehungsweise mitarbeiter anzusprechen wäre.

„copy and paste“: Malen nach Vorlagen

Wie prägend dieser ungewöhnliche, in dieser spezifischen Kombination vermutlich sogar einzigartige doppelte Bezugsrahmen für Dörings weiteres künstlerisches Schaffen bleiben sollte – denn mit eigenständigen Bilderfindungen ist er den erhaltenen Werken nach kaum bis gar nicht in Erscheinung getreten –, lässt sich exemplarisch an seinem heute in der Stichting Huis Bergh (s-Heerenberg/Niederlande) befindlichen Triptychon mit der Heiligen Sippe von 1515 (Abb. 2) und zwei wohl erst um 1525/30 entstandenen Altarflügeln in der Pfarrkirche zu Niederweidbach im Wetzlarer Hinterland demonstrieren: Für nahezu jede Figur beziehungsweise Figurengruppe sowie für diverse motivische Details beider Werke lassen sich teilweise faltengetreu übernommene Vorlagen von Albrecht Dürer und Lucas Cranach dem Älteren (sowie in geringerem Umfang auch von Albrecht Altdorfer) aus unterschiedlichen Medien (Druckgraphik, Handzeichnungen, Tafelgemälde) identifizieren, die von Döring scheinbar willkürlich kombiniert und zusammenmontiert werden (Abb. 3, Abb. 6).

Döring malt, was der gräfliche Auftraggeber mag (und zahlt)

Welchen Erfolg der Maler damit ganz im Gegensatz zum heutigen negativen Urteil der kunsthistorischen Forschung zu Lebzeiten hatte, zeigt die beachtliche Liste seiner Auftraggeber: Mit den Grafen von Solms (Abb. 4), Mansfeld, Nassau–Dillenburg und Ysenburg zählten hierzu immerhin gleich mehrere Adelshäuser, deren politische Bedeutung zwar weit unter derjenigen der sächsischen Kurfürsten lag, die aber teilweise als Berater zu deren engstem Umfeld gehörten und die hier geprägten und vom Hofmaler Cranach wirkungsvoll künstlerisch inszenierten Formen höfischer Repräsentation ohne Zweifel als vorbildlich wahrgenommen haben werden. Wenn in diesem Milieu ausgerechnet ein sich offenbar hemmungslos bei Cranach und Dürer bedienender, qualitativ aber bestenfalls zweitrangiger Maler wie Döring zu reüssieren vermochte und dabei zeitweise sogar eine einem gräflichen „Hofmaler“ ähnliche Stellung erlangen konnte, kann dies kaum Zufall sein, sondern verrät viel über die Erwartungen und den Geschmack seiner Auftraggeber.

Forschungsziele und Perspektiven

Die Dissertation wird – neben dem Erstellen einer klassischen Künstlermonographie samt Werkkatalog, für den neben stilistischen und ikonographischen Gesichtspunkten auch maltechnische Details und die Ergebnisse neuerer gemäldetechnologischer Untersuchungsmethoden wie der Infrarotreflektographie berücksichtigung finden – zwei zentrale Aspekte behandeln: Einerseits soll durch genaue Analyse der erhaltenen und Döring sicher zuschreibbaren Werke dessen zwischen Kopie, kreativer Neukombination und (im Ausnahmefall) eigenständiger Weiterentwicklung vorgefundener Motive pendelnde Arbeitsweise aufgezeigt werden, andererseits ist zu untersuchen, warum er mit diesem Vorgehen gerade in dem oben skizzierten gräflichen Umfeld derart erfolgreich sein konnte. Dabei soll gezeigt werden, dass Dörings besondere Leistung und zugleich sein Alleinstellungsmerkmal gerade in der Fähigkeit zu sehen ist, unter Ausnutzung seiner intimen Kenntnisse der Cranach- wie der Dürer-Werkstatt und ihrer Erzeugnisse bei geradezu programmatischem Verzicht auf eine eigenständige künstlerische Position die jeweiligen Wünsche und Bedürfnisse seiner Auftraggeber flexibel und zielsicher umsetzen zu können. Diese zunächst ungewöhnlich erscheinende, sehr handwerkliche und kunden- beziehungsweise auftragsorientierte Arbeitsweise entspricht dabei vollkommen den in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts geltenden Bedingungen und Möglichkeiten künstlerischer Tätigkeit und dem damaligen Berufsbild eines Malers, auch wenn dies im Widerspruch zum heute vorherrschenden, vom romantisch verklärten Geniegedanken bestimmten Künstlerbegriff steht.