Synagoge Bornplatz
Masterthesis Sommersemester 2021

Herausgegeben vom Fachgebiet Entwerfen und Baugestaltung
(Prof. Dipl.-Ing. Wolfgang Lorch)

Es ist sicher nicht übertrieben, in den Entscheidungen für die Wiedererrichtung von Synagogen am Bornplatz in Hamburg und am Fraenkelufer in Berlin den Wunsch zu sehen, gebaute Zeichen gegen neonazistische Tendenzen in Deutschland zu setzen. Vielleicht ist es auch aus diesem Grund naheliegend, dass gerade in diesen beiden Fällen, zum ersten Mal in Deutschland nach 1945, die Rekonstruktion der von Deutschen zerstörten Vorgängerbauten ernsthaft diskutiert wird.

Jenseits der kontrovers geführten Debatten für und wider möglicher Rekonstruktionen werden aber die Formen jüdischen Lebens in den heute neu zu errichtenden Synagogen vollkommen andere sein, als noch zu Zeiten der Errichtung der großen Synagogen im frühen 20. Jahrhundert. Trotz aller Zuzüge erreicht die Zahl der Gemeindemitglieder selbst in den Metropolen Hamburg und Berlin auch heute noch nicht annähernd wieder das Niveau der Zeit vor 1933. Eine Wiederherstellung der damals für mehrere tausend Gläubige ausgelegten Synagogenräume würde schon deswegen den heutigen Bedürfnissen der Gemeinden wohl kaum gerecht werden können.

Auf die Unmöglichkeit, eine Synagoge heute noch, wie einst vor der Shoah, als gebauten Ausdruck der Assimilation, mehr noch des Deutsch-sein-Wollens zu denken, war schon an anderer Stelle hingewiesen worden. Dennoch bleibt der Anspruch an das Zeichenhafte der neu zu errichtenden Synagogen. Dass dieser Anspruch hier im Sinne einer politischen Selbstvergewisserung auch aus den deutschen Stadtgesellschaften herausgestellt wird, macht die Sache nicht einfacher.

Im Programm für die neuen Großstadtsynagogen in Hamburg und in Berlin kommt ein gewandeltes Verständnis der Synagoge in der Stadt zum Ausdruck. Die Synagoge ist nicht mehr allein zeichenhafter Sakralbau, sondern vielmehr Raum für künftiges jüdisches Leben in der Stadt. In seiner Eigenständigkeit ist die Vielfalt dieses Lebens ein Beitrag zur Kultur der Stadt. Natürlich schwingt in dieser Sicht auch eine gewisse sentimentale Trauer über das Zerstörte mit. Eben deshalb gewinnt der Blick in die Zukunft hier eine besondere Bedeutung.

In diesem Sinne sind das Kinderhaus, die Bibliothek und die Räume für Bildung und Veranstaltungen nicht einfach funktional notwendige Teile eines Gemeindezentrums, sondern sie sind Ort und Ausdruck neuen jüdischen Lebens in der Stadt. So wird das Programm selbst bereits zum Teil einer möglichen Antwort auf den Anspruch an das Zeichenhafte der neuen Synagogen. Dem eine glaubwürdige architektonische Form zu geben, soll unsere Aufgabe sein.

Eine neue Synagoge für Hamburg

Am ehemaligen Standort der Bornplatzsynagoge in Hamburg soll ein neues Zentrum für jüdisches Leben entstehen.
Die Gemeinde wünscht sich eine neue Synagoge sowie ein Gemeindezentrum mit Kinderhaus, Bibliothek, Räumen für Bildung und Veranstaltungen, sowie Gastronomie. Eine Rekonstruktion der ehemaligen Synagoge wird den heutigen Bedürfnissen nicht gerecht. Es besteht nun der ausgeprägte Wunsch nach deutlicher Sichtbarkeit im Stadtgefüge. Bei diesem Entwurf wende ich mich bewusst gegen Mauern und Zäune, sondern zur Öffnung und Integration.
Moderne Synagogen sind Stätten der Sammlung, aber auch des Dialogs. Dieser soll durch einen Komplex gefördert werden, welcher einlädt. Der Ort soll voller Leben sein, keine Grenzen aufzeigen.

Die neue Synagoge steht als Solitär klar und sichtbar im Stadtbild. Sie orientiert sich nicht an den Straßenfluchten, sie ist nach Osten ausgerichtet und eckt somit an.
Die inszenierten Arkaden verbinden die Talmud-Thora-Schule mit der Universität und führen die Menschen durch das neue Gemeindezentrum. Durch die sich öffnende Bauform werden die Mitbürger zum Verweilen angeregt und erlangen einen Einblick in die jüdische Kultur.
Kinderhaus und Veranstaltungsbereich teilen sich ein gemeinsames Foyer, von welchem man in den Veranstaltungssaal geleitet wird. Das Kinderhaus befindet sich in den darauffolgenden Obergeschossen.
Rückseitig der Synagoge befinden sich Gastronomie und Galerie, von wo aus man in die Bibliothek gelangt. Rabbinat und Verwaltung sind nebenan. Im letzten Obergeschoss bietet der multifunktionale Raum einen zusätzlichen Versammlungsort.

Die Konstruktion des neuen Gemeindezentrums orientiert sich am hamburgischen Stadtbild und besteht aus einem zweischaligen Sichtmauerwerk im Läufer- und Flämischen Verband. Beim Gemeindezentrum agiert die Fassade mit der Lochung und erzeugt so Transparenz. Anders ist es bei der Synagoge, die Massivität vermittelt.

Freihalten. Verlorenes sichtbar machen

Die Fläche der alten Synagoge bleibt erhalten. Diese dient als Raum der Erinnerung und als Start für einen Neuanfang. Die Fläche bleibt öffentlich zugänglich und wird sowohl von der Gemeinde als auch von der Öffentlichkeit bespielt und belebt. Des Weiteren kann die Fläche für das Laubhüttenfest genutzt werden.
Im Gegensatz zum Erhalt der Flüche der alten Synagoge wird der Bunker entfernt.

Um den Raum der alten Synagoge wird ein zweigeschossiger Verbindungsgang gebildet. Einerseits dient er als Erschließungsgang zwischen den einzelnen Gebäuden. Andererseits kann durch integrierte, flexible Messingelemente die neue Synagoge von der Öffentlichkeit verschlossen werden. Dies ermöglicht, dass der Hof trotz notwendiger Sicherheitsvorkehrungen zu jeder Zeit zugänglich bleibt.

Um den Gang der Verbindung gliedern sich vier Gebäudevolumen. Diese sind um 45° zum Hof gedreht, um sich an die heutige städtebauliche Umgebung anzupassen. Zur Straße hin orientiert sich das Café, zur Thora-Talmund-Schule der Kindergarten sowie die Bibliothek. Anschließend folgt das Veranstaltungsgebäude mit inkludierter Tagessynagoge. Die neue Synagoge grenzt an den Allende-Platz.

In den Berührungspunkten zwischen den Gebäuden und dem Gang der Verbindung befinden sich die jeweiligen Eingangsbereiche der Gebäude. Die inneren Flächen zwischen den Gebäuden und dem Gang der Verbindung werden als Ruheorte und Pufferzonen genutzt. Sie sind unterschiedlich ausgestaltet und dienen beispielsweise als Foyer für die Synagoge oder als Erschließung der oberen Ebene des Gangs der Verbindung.

Die äußeren Flächen zwischen den Gebäuden werden den jeweiligen Nutzungen zugesprochen und dienen als diesen als Außenflächen. Das Café, der Kindergarten und die Gemeinde können somit ihre Räumlichkeiten nach außen hin erweitern. Die Bereiche sind zur Öffentlichkeit hin grundsätzlich geschlossen, können jedoch über ein ähnliches System wie im Gang der Verbindung geöffnet werden.

Be-shallah

20. Sie zogen von Sukkot und lagerten in Etam, am Rande der Wüste. 21. Und es zog vor ihnen des Tages eine Wolkensäule, sie des Weges zu leiten, und nachts mit einer Feuersäule, ihnen zu leuchten, dass sie ziehen konnten Tag und Nacht. 22. Es wich nicht die Wolkensäule am Tag und die Feuersäule in der Nacht vor dem Volke. (Torah, Exodus)

2. Es ward die Erde wüst und leer gewesen und Finsternis auf der Fläche des Abgrunds, und der Geist Gottes schwebend über der Fläche des Wassers. (Torah, Genesis)

Synagoge am Bornplatz

Gerade im Hinblick auf den geschichtsträchtigen Standort des ehemaligen Bornplatzes und die öffentliche Debatte über den möglichen Wiederaufbau der zerstörten Bornplatzsynagoge ist es wichtig, einen starken neuen Ausdruck für das jüdische Leben in Hamburg zu finden. Seinen Ursprung sucht dieser Entwurf in der Entstehungsgeschichte des Judentums, um so einen Neuanfang zu stiften.

Es geht darum, jüdische Architektur lesbar und interpretierbar zu machen. So ist beispielsweise in der Entstehungsgeschichte des Judentums, dem Exodus, die Rede von einer leuchtenden Wolken- und Feuersäule, die das Volk Israels aus der ägyptischen Gefangenschaft in die Freiheit geleitet. Gerade mit Bezug auf das Sichtbarwerden heutiger jüdischer Architektur spielt das Thema Licht eine besondere Rolle. Es wird oft gleichgesetzt mit Wissen, Erleuchtung oder göttlicher Präsenz. Vor diesem Hintergrund übersetzt der Entwurf die beschriebene Lichtsäule als einen opaken Baukörper und greift damit die ursprüngliche Höhe der zerstörten Synagoge auf.

Auf dem Hamburger Bornplatz überlagern sich Spuren jüdischer Geschichte in verschiedenen Ebenen (palimpsest). Er ist Ort jüdischer Emanzipation und Vertreibung, Ort deutscher Verbrechen und Aufarbeitungsversuche. Die Spannung drückt sich im Stadtraum ab. Die Ostausrichtung der alten Synagoge steht der strengen Orthogonalität des Bunkers gegenüber.

Mittels der gegensätzlichen Geometrien wird versucht, Antworten auf die Widersprüchlichkeit der Bauaufgabe – Sichtbarwerden der jüdischen Gemeinde bei gleichzeitiger schützender Distanz – zu finden.

Ausgangslage ist die Überlagerung beider Geometrien und die Suche nach Gemeinsamkeiten. Das Maß 37,5cm in beiden Geometrien bildet den Grundstein für den Neubau; eine DNA beider Ortsgeschichten, die sich bis in den letzten Stein ziehen soll.

Aus der Kombination der Geometrien lassen sich architektonische Elemente ableiten. „Die Backsteinwand“ stellt Ortsbezug her. „Die Öffnungen“ ermöglichen Einblick bei gleichzeitiger Wehrhaftigkeit. Das „Portal“ bildet eine einladende, aber nur teiltransparente Geste.

Die städtebauliche Setzung versucht der erzwungenen Transformation vom sakralen Gemeindeplatz zum Kriegsbau entgegenzuwirken. Ein von Nationalsozialisten entfremdeter Ort jüdischer Geschichte wird zum neuen Zentrum deutsch-jüdischer Kultur. Entsprechend dem Bedürfnis der Gemeinde nach Öffentlichkeit und gleichzeitiger Sicherheit entwickeln sich zwei Freiflächen: öffentlicher Platz und innerer Garten. Der Baukörper platziert sich symbolisch in der Mitte und vermittelt dazwischen.

Um den Garten herum sind Kinderhaus, Bibliothek, Synagoge und Verwaltung. Café, Veranstaltungsaal, Haupt- und Sanitärerschießung sind öffentlich und liegen neben dem Stadtplatz. Das Gebäude ist in außen in rotem, innen in weiß geschlemmten Backstein gehalten. Um dem Besucher einen persönlichen Moment zu ermöglichen, wurde die Mikwe zum Erlebnisraum überhöht. Herzstück ist der Synagogenraum mit einem Betonschalendach, welches auf vier massiven Kernen stützt.

Das Ensemble positioniert sich zwischen Allende-Platz und Talmud-Thora-Schule in die Straßenflucht des Grindelhofs. Es erstreckt sich über den ehemaligen Bornplatz, wo vor dem schicksalhaften Wirken der Nationalsozialisten eine großzügige Synagoge ihren Platz fand.

Der Entwurf formt aus individuellen Baukörpern eine introvertierte Figur. Diese soll sich in den Stadtraum zwar eingliedern, aber dennoch eine schützende Festung darstellen. Die vertikale Fassade in leuchtendem Messing verstärkt dies. Dem Ensemble soll durch Begrenzungen nach außen sowie engen Zwischenräumen zum Stadtraum gelingen, dem Sicherheitsbedürfnis der Gemeinde zu genügen. Gleichzeitig soll durch Café und Bibliothek im Inneren des Riegels eine kontrollierte Fortsetzung des öffentlichen Raums ins Innere des Ensembles gelingen. So fungiert er als Schnittstelle zwischen Stadt und Gemeinde.

Geschützt von dem dem Grindelhof zugewandten Riegel steht die Synagoge im Zentrum. Ein Gang trennt die beiden Körper voneinander und leitet auf den Platz. Dieser formt das Zentrum der Gemeinde, indem er das Gemeindehaus mit der Synagoge verbindet und einen für die Gemeinde nutzbaren Versammlungsort schafft.

Räume des Zusammenkommes zwischen Stadt und Gemeinde schaffen natürliche Einblicke – um Unwissenheit aufzuklären, Annährung zu fördern und somit nachhaltig Brücken zu schlagen.

Die Synagoge zitiert mit ihrer Größe die zerstörte Synagoge. Während man ehedem jedoch durch das Vestibül zunächst den Alltag ablegte und schließlich den Raum Gottes betrat, soll dies nun vertikal gelingen. So kann die Synagoge zum einen städtebaulich an Höhe gewinnen, zum andern durch den durch die Treppen entstandenen Luftraum vertikal an Sicherheit gewinnen.

Licht fällt durch einen Lichtkranz ein, welcher Innen- und Außenraum verbindet, aber hoch genug ist, um das Weltliche abzustreifen. Während die Synagoge zwar nun nach Jerusalem zeigt, ist die Bima durch die Rotation Richtung Südosten immer noch an der gleichen Stelle.