Paris Montsouris
Masterthesis Winter 2019/20

Herausgegeben vom Fachgebiet Entwerfen und Baugestaltung (Prof. Wolfgang Lorch)

mélange social — Wohnraum in Paris gewinnt nach wie vor an Attraktivität. Allerdings ist Paris stark von Gentrifizierung betroffen. Das 14. Arrondissement, das den engeren Kontext der Aufgabe bildet, gehört zu den Bezirken mit leicht überdurchschnittlicher Bevölkerungsdichte. Neben der für Paris typischen, mitunter kleinteiligen Blockstruktur ist es vor allem durch seine zahlreichen großmaßstäblichen Stadtbausteine geprägt.
denstité — Als eine dieser Großformen am südlichen Rand des Bezirks ist das Reservoir de Montsouris bei der stadtmorphologischen Betrachtung besonders hervorzuheben. Seine Oberfläche dient der Verdunstung von Oberflächenwasser und sorgt so für die Kühlung des darunterliegenden Wasservorrates. Eine Überbauung der gesamten Fläche ist somit unrealistisch. Dennoch birgt dieser Bereich enormes Potenzial für die Schaffung neuen Wohnraums. Seine geböschten Randbereiche bieten interessante Flächen zur Nachverdichtung.
le parc nouveau — Diese Stelle erschafft die Chance, die Freifläche neu zu denken.
la grande forme — Die Architektur wird sich neben der Großform des Reservoirs in gewisser Weise behaupten müssen um in einen gleichberechtigten Dialog mit dem direkten Kontext treten zu können.
communauté — Das Raumprogramm sieht neben etwa 150 Wohneinheiten für eine bis fünf Personen auch, diesen zugeordnete, Gemeinschaftsflächen vor.
base publique — Die zu planenden öffentlichen Flächen können mit etwa einem Drittel der Wohnfläche veranschlagt werden. Die außenräumliche Konzeption der Oberfläche des Reservoirs bildet den zweiten wichtigen Teilaspekt der Aufgabe. Die Freifläche in der direkten Nachbarschaft wird maßgeblich den Charakter der Entwürfe prägen. Bedingt durch die erhöhte aber exponierte Lage und die fast schon geheimnisvolle Beziehung zu den umgebenden Straßenräumen bietet der neue Garten, der Park, die Oase die Möglichkeit, mit dem Gebäude zusammen eine einzigartige innerstädtische Atmosphäre entstehen lassen.

Inmitten der lärmenden Stadt Paris soll ein Ort der Stille, ein Ort der Kontemplation entstehen. Ein umfriedeter Garten inmitten der Stadt. Von Mauern geschützt, zum Himmel hin geöffnet. Ein Teil dieser Mauer wird bewohnbar sein. In Form einer Scheibe werden sich über hundert Wohnungen zum Garten hinorientieren. Erschlossen von der Stadtfassade aus, werden die Schlafzimmer zu einem Rückzugsort im Grünen – zu einer Klause inmitten der Millionenmetropole Paris. Die Wohnscheibe fungiert als eine Art Schwelle zwischen dem Lauten der Stadt und der Stille des Gartens. In den ersten Geschossen des Gebäudes befinden sich eine Bibliothek, verschiedene Ateliers und Gewerbeeinrichtungen. Die Bibliothekshalle ist durch einen Luftraum mit verschiedenen Ateliers verbunden, wodurch eine Atmosphäre des gemeinsamen Arbeitens und Lernens entsteht. Um in völliger Stille sein Buch lesen zu können, kann der Besucher mittels eines Aufzuges, in das Reservoirgeschoss fahren und dort innerhalb der Mauer, die im inneren als eine Art Kreuzgang fungiert, oder im hallenartigen Freigeschoss zur Ruhe kommen. Der Aufzug, also das verbindende Element zwischen Stadt und Garten drückt sich kraftvoll aus dem Gebäude und symbolisiert so die Wichtigkeit des Weges in das ummauerte Grün. Die Wohnungen werden über drei Treppenkerne und Laubengänge erschlossen. Auch hier spielt wieder das Gegenüber von Stadt und Garten eine wichtige Rolle. An den Laubengänge sind die Wohn- und Essbereiche der Wohnungen angeordnet, welche durch Faltelemente jederzeit zur Stadt hin geöffnet werden können. Man ist hier ein Teil der unaufhörlich pulsierenden Stadt. Eine Funktionsebene, in der Bäder, Küchenzeilen, Schränke und so weiter angeordnet sind fungiert innerhalb der Wohnung quasi als jene Mauer, die die Stadt vom Garten trennt. Durch sie betritt man seinen ureigenen Rückzugsort – die persönliche Klause, gelegen am Hortus Conclusus.

Der Entwurf eines Wohngebäudes der Zukunft, situiert in im Süden von Paris, formuliert den notwendigen Abschluss gegenüber der Großform des Wasserreservoirs. Er stellt dem bislang brachliegenden Plateau eine Zeile als eigenständigen Stadtbaustein gegenüber, welche als Haus der Stadt den eigentlichen Naturraum unversehrt lässt. Die klare Trennung der Räume in öffentlichen Raum der Gesellschaft, privaten Raum des Individuums und Naturraum, so wie der Gestaltung der jeweiligen Übergänge, bildet das Kernthema des Entwurfs. Um die jeweiligen Qualitäten des privaten, sowie des ö entlichen Raums völlig auszuschöpfen, müssen beide radikal vorhanden sein. So entstehen Kontraste, die vor allem in den Übergängen der Bereiche zu interes- santen Spannungen und Begegnungen führen. Die Zeile gliedert sich in einen öffentlichen Sockel, bestehend aus der base publique und einem Gemeinschaftsgeschoss. Das Erdgeschoss beherbergt verschiedene Gewerbe, Restauration und Freizeitange- bote. Die étage communauté bietet anmietbare Ateliers und Arbeitsplätze, ein Bewohnercafé mit Lesebereich und Werkräumen, so wie einen Kinderhort. Die Nutzungen haben einen zum Hang orientierten Außenbereich, der über Nischen bespielt wird. Der Abschluss des ö entlichen Sockels bildet die étage libre, ein ö entliches Luftgeschoss. Die skulptura- len Treppen an den Kopfenden des Gebäudes kennzeichnen die ö entliche Erschließung zu dieser höher gelegenen Ebene. Hier verschmelzen Stadt- und Naturraum. Der Reservoirgarten kann von hieraus über einen klar de nierten Weg umlaufen werden. Darüber ordnen sich getrennt von der base publique die Wohnungen an. Sie sind über gro.zügige Laubengänge im Osten erschlossen und fördern die Begegnung unter den Bewohnern. Eine soziale Mischung wird durch unterschiedliche Wohnungstypen ermöglicht. Die Westseite des Hauses widmet sich dem Rückzug, hier können alle Bewohner des Hauses gleichermaßen den Ausblick auf den Garten des Reservoirs genießen.

Die Habitation Montsouris bildet einen östlichen, städtebaulichen Abschluss für das Trinkwasserreservoir Montsouris im 14. Arrondisment im Süden Paris. Das Volumen reagiert einerseits auf die exponierte städtebauliche Situation und setzt gleichzeitig die Stadtsilhouette fort. Der Gebäudekomplex gliedert sich daher in drei vertikale und einen verbindenden, horizontalen Teil. Beginnend im Südosten, bildet ein prominenter Eckbau den Kopf des Gebäudes. Dort befindet sich in der öffentlichen Sockelzone ein Restaurant mit einer Lobby für die darüber liegenden Apartments. Darüber, zwischen dem dritten und neunten Geschoss, fächern sich Kleinwohnungen auf, die temporär bewohnt werden können. Dieses Angebot richtet sich vor allem an Berufspendler, die keine feste Wohnung sondern viel mehr eine Bleibe für einen begrenzten Zeitraum suchen. Die Zimmer werden durch gemeinschaftliche Nutzungen und einen Conciergeservice ergänzt. An die kommunal genutzten Flächen ordnen sich ab dem dritten Obergeschoss Balkone an, von denen man einen Blick über das Reservoir Montsouris hat. Den oberen Abschluss dieses Gebäudeteils bildet eine Bar mit Dachterrasse. Der Kammbau im vorderen Drittel des Gebäudes bringt die Öffentlichkeit in die Vertikale. Hier befindet sich neben einem Kino, Veranstaltungsräumen und Co-Working Bereichen der öffentliche Zugang zur Oberfläche des Reservoirs. Ergänzt wird dies durch einen Ausstellungsbereich und eine Galerie. Auch hier ermöglichen Austritte den Blick Richtung Stadt sowie über das Reservoir. In der dahinterliegenden Scheibe, die sich durch drei Treppentürme in vier Teile gliedert, befinden sich ab dem dritten Obergeschoss unterschiedlichste Wohnformen mit verschiedenen Wohnungsgrößen, um den Grundstein für eine melange social zu legen. Die Sockelzone, die sich bis an die Reservoirkante schiebt bleibt der Stadt vorbehalten. In den hinteren, durch Glasbausteine zenital belichteten Bereichen, befinden sich unter anderem ein Schwimmbad sowie ein Werkstattbereich für die Instandhaltung des Trinkwasserspeichers. Nach Osten, in Richtung Stadt öffnen sich öffentliche Nutzungen wie Cafés sowie ein Nahversorgungsladen und bilden gemeinsam mit Kopf- und Kammbau die base publique. Auf den Wohngeschossen ordnen sich alle Individualräume grundsätzlich Richtung Osten, Richtung Stadt an, wohingegen sich die Erschließung sowie die angegliederten kommunal genutzten Flächen Richtung Westen, Richtung Reservoir orientieren. Je nach Wohnungstyp werden die Wohnungen durch gemeinschaftlich genutzte Räume wie Waschsalons oder Ähnliches ergänzt. Auf dem dritten und vierten Geschoss befinden sich Kleinwohnungen, die je nach Bedarf zusammengeschaltet werden können und so zwischen einer bis drei Personen beherbergen können. Ergänzt werden die beiden Geschosse durch doppelgeschossige Wohnateliers, die den Hof zwischen Gebäude und Reservoir beleben.

Das Réservoir de Montsouris bildet, aufgrund der benötigten Verdunstungsfläche zur Kühlung, eine Freifläche von 250m x 130m aus. Insbesondere der anschließende Bereich im Osten bietet Potenzial dem Reservoir einen würdigen Abschluss und eine neue Identität zu geben, welche im Dialog mit der Umgebung steht. Das habitation+ gliedert sich in drei horizontal geschichtete Bereiche: der Base Publique, dem Communauté und dem Logement. Die Base Publique wird als Fortführung der Außenmauerdes Reservoirs ausgebildet. Sie nivelliert zwischen den unterschiedlichen topografischen Gegebenheiten der Umgebung. Mit ihren Geschäften, Restaurant & Bar und den Dienstleistungen lädt sie zum Verweilen, Schlendern und als Treffpunkt ein. Der neu geschaffene verkehrsbefreite Vorplatz wird durch Sitzmöglichkeiten, Grün und den wöchentlichen Markt bespielt. Das Communauté vermittelt zwischen der Base Publique und dem Logement. Der stützenfreie Grundriss ermöglicht eine flexible Nutzung und kann somit den Bewohnern als Erweiterung des Wohnzimmers dienen oder aber auch Fläche für kulturelle Veranstaltungen bieten. Im Sommer lassen sich die Räumlichkeiten gro.zügig öffnen und schaffen dadurch einen fließenden Übergang zwischen Innen und Außen. Das Freilegen der Reservoirmauer und das Öffnen der Gewölbekappen bieten einen Einblick in den bisher verborgenen Innenraum des Wasserspeichers und spannt gleichzeitig einen interessanten Raum zwischen Reservoir und dem Communauté auf. Das Logement beginnt ab der Oberkante des Reservoirs und bietet somit einen freien Blick auf Paris. Die Wohneinheiten werden über vier klar ablesbare Treppentürme und einen Laubengang erschlossen. Die Grundstruktur der Wohnungen besteht aus einer Schottenbauweise im Achsraster von 4 Metern. Partielle revisionierbare Öffnungen ermöglichen Wohnungsgrößen von 1-5 Zimmern und geben somit eine gesellschaftsanpassungsfähige Antwort auf das Wohnen in 2030. Als grundlegendes Konstruktionsprinzip wird der Vierendeelträger in Form von Schotten mit biegesteif anschließenden Decken ausgebildet. Die Fassade wird aus Sandwichelementen vorgefertigt um eine kürzere Bauzeit zu ermöglichen. Der Detaillierungsgrad der Fassade ist durch Pariser Bauten inspiriert und erzeugt somit einen menschlichen Maßstab.

Der Entwurf ist gekennzeichnet durch vier Köpfe, welche über der Hang- und Plateaukante übertretend auf dem Baufeld platziert werden und sich selbst quer stellend und wie Schilde darüber hinausragen. Ein gemeinsamer betonfarbener Sockel, der die Hangkante aufnimmt und sie zur Straße hin akzentuiert, trägt die Aufbauten aus bläulichen Keramikfliesen. Die Frontfassade steht als klassische Stadthausfassade in der Reihe der anschließenden Bebauung. Die Seitenfassaden, die innere Höfe flankieren, deuten mit ihrer starken Tektonik auf das Heraustreten aus dem Hang hin. Die Häuser staffeln sich mit zunehmender Geschossigkeit zurück und offenbaren den Charakter von Terrassenhäusern, die einen intimen Innenraum aufspannen. Die Fassade sorgt mit den französischen Balkonen für einen markanten und dennoch stark ortsbezogenen Auftritt. Die Adressen der Bewohner sind wzugleich Eingänge für die öffentlichen Galerien im Erdgeschoss. Diese nutzen den vorhandenen Platz im Hang mit großen Ausstellungsräumen, spiegeln den kathedralenähnlichen Raum im Wasserreservoir wieder und eröffnen das Haus als kulturellen Wohnort zur Straße. Die sich darüber erhebenden Wohngeschosse umfließen die Innenhöfe und verzahnen sich eng mit dem Hang. Hierbei spielt der Wechsel von Frontfläche zu den Seiten den inneren Nutzungsmix wieder und ermöglicht eine Vielzahl an unterschiedlichen Wohnungstypen. Mit steigender Geschosszahl verlängern sich die Grundrisse und reichen so mit dem zurückweichenden Hang immer weiter an das Plateau heran, bis sie dasselbe schlussendlich überragen. Das Gebäude schließt mit einer begehbaren Dachterrasse ab. Die Köpfe teilen den Parc de Montsouris nicht von der unteren Straße ab, sondern verweisen durch Durchblicke, hinabreichende Begrünung und großzügige Erschließungen auf die notwendige Verbindung. So wird der Wohnungsbau zur eröffnenden Figur des neuen Stadtbausteins und überführt selbstbewusst die verborgene Kraft des Wasserbeckens in den Kontext.