Kinder- und Jugendbibliothek Astrid Lindgren, Stockholm
Masterarbeit Sommer 2020

Herausgegeben vom Fachgebiet Entwerfen und Baukonstruktion (Prof. Felix Wächter)

Die zu planende internationale Kinder- und Jugendbibliothek in Stockholm soll mit einer einzigartigen Sammlung internationaler Buchbestände ab dem 16. Jahrhundert als Zentrum für internationale Kinder- und Jugendliteratur dienen. Mit Lesungen, Werkstattgesprächen, Schreibwerkstätten, Vorträgen, und Ausstellungen soll die internationale Kinder- und Jugendliteratur und damit die Freude am Lesen gefördert werden. Zudem soll mit dem Sammeln und Erschließen die interkulturelle Verständigung durch Versöhnung, das Verständnis für andere Lebensformen und Kulturen unterstützt werden. Die Sammlung ist offen für Kinder zum Lesen und Stöbern wie auch dem Fachpublikum für wissenschaftliche Studien und Forschungen. Der Bestand umfasst mehr als 600.000 Kinder- und Jugendbücher in 150 Sprachen, darunter wertvolle Sammlungen historischer Kinderbücher ab dem 16. Jh.

Das Archiv enthält auch den 2005 als UNESCO Weltkulturerbe anerkannten Nachlass von Astrid Lindgren, der meistgelesenen Kinderbuchautorin der Welt. In 130 lfm Regalen sind die Briefe von Lesern jeden Alters, Manuskripte für Bücher, Filme, Theaterstücke und Artikel, Stenogrammblöcke, Zeitungsausschnitte, Fotos, Theaterplakate, Exemplare von Büchern mit Widmungen sowie Kopien von Briefen, die sie selbst geschrieben hat, archiviert.

Die besondere Situation zwischen Park und Innenstadt, eingebettet in die einzigartige stadträumliche Struktur, erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit dem Ort. Es ist ein lebendiger Kultur- und Stadtbaustein mit unterschiedlichen ineinandergreifenden, miteinander vernetzten und verzahnten Nutzungen zu entwickeln, der dem Bedürfnis nach Kontemplation, einem Ort der Ruhe und Verlangsamung abseits der Hektik des Alltags, wie auch der Kommunikation und Begegnung gleichermaßen entspricht und dessen vielfältiges Inneres zum Lesen animiert. Über die Erwerbung, Katalogisierung und Benutzungen hinaus soll die Bibliothek als kultureller Marktplatz verstanden werden, in dem das Vermitteln, Bilden und Forschen im Mittelpunkt steht. Es sind Räume oder Bereiche für die verschiedenen Genres und die unterschiedlichen Nutzergruppen zu bilden. Ganztägig, über die Öffnungszeiten hinaus, soll die Bibliothek Besucher, Kinder und auch Forscher einladen. Dabei ist sicherzustellen, dass die Bibliothek nicht zu einer Erlebniswelt wird, wo der Besucher und nicht die Literatur im Mittelpunkt steht. Aus dem Antagonismus, der Polarität der Anforderungen sind Räume mit spezifischem Charakter und eigenständigem architektonischem Ausdruck zu entwickeln, die die Qualitäten des Bestands weiterdenken und der Bedeutung des Topos entsprechen, ohne auf die geschichtsträchtigen baulichen Zeugnisse zurückzugreifen. In dem Sinne stellen wir die Frage der Sprache, von Zusammenhang und Zusammenklang, im Bezug zur Stadt wie auch zur Nachbarschaft.

Der Entwurf gliedert sich typologisch in zwei Teile, einem flachen offenen Riegel, welcher direkt an der Uferkante des Parks liegt und einem monolithischen Turm. Der Riegel bildet so die neue Schnittstelle von Land und Wasser aus und der schmale Turm wird Teil der Silhouette der Kulturbauten Djurgardens ohne diese zu dominieren. Zusammen bilden sie das neue Gegenüber zur belebten Promenade von Skeppshomen. Basierend auf den bestehenden Wegen des Parks erschließt eine neue Wegachse das Gebäude. Sie durchdringt das Gebäude unterhalb des Turms und endet in einem langen Betonsteg im Kanal. Dies ermöglicht es das Gebäude gleichwertig von Land als auch vom Wasser zu erschließen. Unter dem langen Dach des Riegels befindet sich die offene Bibliothekslandschaft der Kinderbibliothek die sich sowohl zur Stadt als auch Natur öffnet. Der Turm beinhaltet den archivierenden, kontemplativen Bereich der Bibliothek. Durch seine geschlossene Fassade hat er eine schützende Funktion und weckt umso mehr über seinen langen seitlichen Einschnitt ein Interesse an seinem Inhalt.

Das „Fenster zur Stadt“ richtet seinen Blick über die Ostsee auf die gegenüberliegende Insel Skeppsholmen. Das Gebäude bildet als Solitär einen Dreiklang mit den beiden Museen in direkter Nachbarschaft. Durch seine Höhe ragt es über die Baumwipfel hinweg und ermöglicht einen uneingeschränkten Blick auf die Umgebung. Die in nach Südwesten blickende Fassade zeichnet sich durch das namensgebende Fenster aus. Der Rücken des Gebäudes lehnt sich an besagtes Fenster und verstärkt somit den Eindruck der Blickrichtung.

Die Bibliothek wird durch einen eingeschossigen auf der Nordseite liegenden, aus dem Gebäude ragenden Bereich betreten und begegnet der Hauptnutzergruppe von Kindern und Jugendlichen somit auf Augenhöhe. Dieser Gebäudeteil beherbergt außerdem sowohl die Druckwerkstatt, als auch den Verwaltungstrakt. Des Weiteren situieren sich im Erdgeschoss sowohl das Café als auch der Ausstellungsbereich, welche unabhängig von einem Bibliotheksbesuch genutzt werden können. Gestützt ist das Gebäude, welches sich bis auf die Neigung des Rückens eine schlichte Außenhülle besitzt, auf den, alle Geschosse durchziehenden, Bücherrücken, der auch jegliche dienenden Funktionen beherbergt. Der im Süden gelegene Bereich besticht durch eine verspielte, vielseitige Aneinanderreihung von mehrgeschossigen räumlich prägnanten Lesesälen sowie niedrigen Rückzugsbereichen. Jeder Besucher findet seinen eigenen Weg durch das Haus bis hin zum Lesegarten auf dem Dach.

Holz, außen grün lasiert, ist das Material, dass sowohl Konstruktion als auch Ausbau bestimmt.

Mit Blick auf das königliche Schloss und die Prachtstraße Strandvägen prägt die Astrid-Lindgren-Bibliothek einen der markantesten Orte Stockholms. An dem begradigten Ufer stellt das organisch geformte und in das Wasser hineinragende Gebäude – bestehend aus einem Bücherturm, 3 großen und 2 kleineren Zylindern sowie einem Pavillon – eine Verzahnung zwischen Landschaft und Meer her.

Die Uferpromenade läuft direkt auf den Vorplatz am Haupteingang zu. Ein weiteres Ankommen wird durch einen zum Verweilen einladenden Steg über dem Wasser ermöglicht.

Grundgedanke des Entwurfes ist es, eine räumliche Situation zu schaffen, die sich an einem kindgerechten Maßstab orientiert. Die maximal 3-geschossigen Hauptzylinder bilden überschaubare Bereiche, mit denen sich Kinder leicht identifizieren können. Alle sind atmosphärisch ganz unterschiedlich ausgestaltet und weisen differenzierte Sichtbeziehungen und Lichtverhältnisse auf, die je nach Art der Orientierung und Dachöffnung variieren. Die einzelnen Gebäudeteile gruppieren sich um den Eingangsbereich mit einer großen Cafétheke als kommunikativem Dreh- und Angelpunkt. Die Organisation weicht von herkömmlichen Präsenzbibliotheken ab: Alle Medien werden in einem computergesteuerten, zentralen Bücherturm aufbewahrt und können dort auf jedem Geschoss mit einem Bibliotheksausweis ausgeliehen werden, sodass die Wege zum Buch kurz sind. Jeder sucht sich den Leseplatz, der seinen Bedürfnissen am besten entspricht.

Die Bibliothek wird als „Intellektueller Marktplatz“ aufgefasst, der zu einem entspannten Aufenthalt animiert und eine vielfältige Form der Wissensvermittlung anbietet: Die unterschiedlichen Bereiche im Gebäude dienen dem Lesen, Lernen und Spielen, der Kommunikation oder Interaktion – eine Krachmacherstrasse mit bewusst gesetzten Ruheinseln.

Verortet an dem nordwestlichen Zipfel der Insel Djurgården ragt der rote Turm als Identitätsstiftender Hochpunkt hervor und bildet einen Kontrast zur Grünen Lunge Stockholms.

Der Turm wird eingeleitet von einer ihn umgebenden Struktur bestehend aus mehreren alternierend aufragenden Podesten. Sie macht das Gebäude bereits vor dem Betreten zu einem Ort für Kinder. Die orthogonalen Wege führen den Besucher an den drei höchsten Podesten ans Gebäude heran. Hier gibt es Fensterbänder, durch welche man erste Einblicke in das bunte Treiben im Wurzelwerk bekommt.

Neben den Podesten gibt es 5 Tiefhöfe die ebenfalls in die Struktur eingearbeitet sind. Das Betreten des Turms erfolgt über die dem Park zugewandte Ostfassade. Der Blick wird direkt auf die Besonderheit des Turms gelenkt: die Fliegenden Bücher, ein Pater Noster ähnlicher Aufzug, welcher am laufendenden Band (6 km/h) innerhalb eines Tages ca. 5000 Bücher durch alle Turmgeschosse fährt.

Das Wurzelwerk gliedert sich in einen passiven und einen aktiven Teil. Der passive Teil im 2.-8. Untergeschoss dient als Wissensspeicher, er beherbergt das historische Erbe – die Büchersammlung ab dem 16. Jahrhundert. Der aktive Teil befindet sich im 1. Untergeschoss, hier soll das historische Erbe durch Kommunikation und Begegnung vermittelt werden. Über Aufzüge wird der Stamm erschlossen: zunächst gibt es drei Geschosse Verwaltung, gefolgt von 13 Geschossen für Kinder, die in vier Altersbereiche unterteilt sind: Babys (0-3), Kleinkinder (3-7), Kinder (7-12) und Jugendliche (12+). Die Bereiche sind durch Zwischengeschosse getrennt und gleichzeitig verbunden.

Die monolithische Wirkung des Turms wird sowohl im Inneren als auch im Äußeren durch pigmentierten Sichtbeton erzielt, der lediglich von bewusst gesetzten, außen liegenden vertikalen Fensterbändern unterbrochen wird.

Im „Pippi Langstrumpf geht an Bord“ bricht die Protagonistin auf eine Reise zu Schiff auf. Das Schiff ist ein Körper, der Abenteuer und Träume trägt. Die Bibliothek nimmt sich das traditionelle Langschiff der Wikinger zum Vorbild und lässt dieses auf eigentümliche Art auf der Insel Djurgarden stranden. Sozusagen umgekehrt bildet das Boot die Dachschale unter der sich der weite, offene Schiffsbauch der Bibliothek aufspannt und die Kinder sich beim Lesen eine lange Reise vorstellen können. Aus der Entfernung gesehen wirkt die Bibliothek leicht, schlank und schwebend und ist dem weiten Meer zugewandt. Auf dessen Oberfläche spiegelt sich die lange Kurve des Firstes. Um das Volumen der Bibliothek so klein wie möglich zu gestalten, wird der große Dachraum unter dem Schiffskörper durch ein Untergeschoss ergänzt welches sich rund um einem versunkenen Kreisplatz organisiert. Die Fassade im ersten Stock mit Blick auf das Meer kann vollständig geöffnet werden, und Benutzer können in der Meeresbrise lesen. Herzstück der Bibliothek ist der großzügige Bereich auf dem Obergeschoss, der für Benutzer unterschiedliche Lesebereichen anbieten kann.

Die Hauptstruktur des Gebäudes besteht aus einem Betonkern und einem Holzrahmen. Im Inneren schaffen Holzrahmen und deren Verkleidung einen fließenden, durchgehenden Raum. Die Struktur aus Holz verleiht dem Leseraum eine unverwechselbare Identität. Der mittlere Raum ist breiter und das Tageslicht ist weich, um sich auf das Lernen zu konzentrieren. Der Heckraum ist heller und eignet sich besser zum einfachen Lesen und Ruhen.

Trotz der zahlreichen Bibliotheken in Stockholm fehlt für die Kinderbuchautorin, Astrid Lindgren und ihre kleinen Leser noch ein angemessener Ort, wo ihre Bücher für Kinder bereitgestellt werden und die Forschung ihrer Werke durchgeführt wird. Dafür soll ein Gebäude entstehen, das gleichzeitig als Bibliothek und Kinderzentrum dienen kann. Die Kinder aus Astrid Lindgrens Werken sind so wild und frei, dass die alles machen was sie wollen. Ebenso sind auch Ihre kleinen Leser. Von daher soll ein Ort geschaffen werden, wo die Kinder ihre eigene innere Welt entdecken und entwickeln können.

Der Standort liegt auf der Insel Djurgården. Die Bibliothek setzt sich an die nordwestliche Ecke des Ufers, gegenüber der Stadtmitte. Mit ausreichendem Abstand zum Nodiska Museum und dem Vasa Museum, die bei Touristen sehr beliebt sind. Die kleinen Besucher laufen mit ihren Eltern zuerst über eine laute Straße, dann durch dichte Bäume. Sie beruhigen sich dadurch, bevor sie an der Bibliothek ankommen.

Die Struktur des Hauses ist an der Fassade ablesbar. Das freigehaltene Erdgeschoss ist für alle zugänglich. Dort begegnen sich die Leute, die zum Wasser möchten. Die „Tischplatte“, das Zwischengeschoss, ist mit Panoramafenstern gestaltet und bietet einen weiten Ausblick. Der obere Baukörper ist geschlossen. Darin versteckt sich eine kontemplative Welt mit Himmelsblick. Eine Rampe führt um das Zentrum nach oben bis zu dem Dachgarten. An diesem Höhepunkt werfen die Besucher ein Blick auf das Wasser, das Grün und die Stadt. In dieser Welt, wo alle Räume zum Himmel ausgerichtet sind, lesen die Kinder ohne Ablenkung der Außenwelt und üben sich selbst darin, ihre innere Welt auszudrücken.

Jedes Kind hat eine unbegrenzte Innenwelt, wo es seine individuellen und intuitiven Gedanken versteckt. Von selbst entwickeln Kinder ihre eigene Welt, sowohl physisch als auch seelisch.